Der Minibus muss erst noch tanken. Der Fahrer hatte den ganzen Tag Zeit dazu, wahrscheinlich aber jetzt erst das Geld.
Ich bin ungeduldig, will endlich das Weiterkommen spüren. Stattdessen streiten die zwei Tankwarte mit Barry, dem Fahrer über irgendetwas, dem ich nicht folgen kann. Es ist mir auch egal. Aber ich registriere irritiert, dass unser Chauffeur keinerlei Eile oder Betriebsamkeit an den Tag legt.
Meine erste Nachfrage bei einem Mitarbeiter des Unternehmens, wie lange wir denn unterwegs seien, brachte mir am Nachmittag eine unglaubwürdige Antwort ein. Er meinte, dass wir am Mittwoch gegen Mittag in Conakry ankommen müssten. Dies wäre in knapp zwei Tagen.
Die zweite Antwort eines Fahrers des Unternehmens gefiel mir besser. Er sagte, dass wir am folgenden Morgen schon in der Hauptstadt Guineas sein werden. Na also.
Die Karte bei Google Maps zeigt mir eine Entfernung an, die irgendwo zwischen diesen zwei Zeitangaben liegen müsste. Ich lasse es auf mich zukommen.
Der Hyundai fährt monoton die Autobahn aus Dakar raus und ich fühle langsam, wie ich mich trotz der Beengtheit entspanne. Wieder unterwegs. Der warme Nachtwind bläst mir durch die offenen Fenster in das Gesicht.
Die Fahrt über die Autobahnen in den Süden ist bald vorbei und wir ziehen auf den Landstraßen durch dunkle Ortschaften und graue Felder. Wir kommen gut voran.
Nun merke ich, dass ich falsch angezogen bin. Mit T-Shirt und kurzer Hose bin ich für diese Nachtfahrt schlecht präpariert. Meine warmen Klamotten sind auf dem Dach in meinem Koffer, der unter einem Netz festgezurrt ist. Ich habe mein Fenster geschlossen, doch das des Fahrers, sowie des Beifahrers sind weit geöffnet und blasen mir kühlen Nachtwind und roten Sand in die Augen. Ich setze mir die Lesebrille auf und drehe mir aus einem Papiertaschentuch zwei kleine Tropfen, die ich als Schutz in die Ohren stecke. Zur Abwehr des Fahrtwindes, nehme ich mir den kleinen Rucksack auf den Schoß. Es nützt nicht viel.
Ich werde in dieser Nacht nur wenig schlafen und viel frieren. Der Fahrer ist brummig, als er mein Fenster schließen muss, weshalb ich mich nicht traue, wegen seines Fenster nachzufragen. Und die Beifahrerin schläft oder döst die ganze Zeit und signalisiert uns, den anderen Mitreisenden, dass wir sie besser in Ruhe lassen sollen. Aber ich bin ja auch selbst schuld, denn außer mir friert keiner, sind alle warm angezogen.
Ich überstehe diese Nacht leidlich und freue mich, als wir kurz nach der Dämmerung die Grenze aus dem Senegal erreichen und die aufgehende Sonne erste Strahlen der Wärme in unseren Kleinbus schickt. Dort werden wir kontrolliert, die Polizistin blickt mich skeptisch an, gibt mir aber dann doch meinen Stempel und ich darf mit dem Bus, dieses schöne Land verlassen. Schön ist der Senegal, dies konnte ich auf meiner ungewollten Rundreise feststellen.
Wir fahren nach Guinea, wo wir wieder kontrolliert werden. Hier verliere ich den Überblick. Habe ich nach der zweiten Amtsstube, an der wir gecheckt werden, endlich meinen Stempel in den Pass erhalten, durchsucht man in der dritten mein Handgepäck. Ich frage, was ich den schmuggeln könnte, da meint der ernstblickende Beamte, dass in diesem Land keine Drogen erlaubt sind. Ich muss über diesen theatralischen Akt lachen, denn während er mein Handgepäck gründlich analysiert, sehe ich aus dem Fenster meinen großen Koffer unter dem Netz auf dem Dach des Minibusses liegen, den kein Mensch bisher in Afrika geöffnet hat und dies bis heute auch keiner tun wird. Ich könnte ganz Guinea zu weißer Weihnacht verhelfen, wäre in diesem Koffer irgendwelcher Schnee.
Überhaupt ist das Polizeiwesen in Guinea für mich nicht durchschaubar. Auch im Senegal wurden wir oft kontrolliert und ich sehe, dass Geldscheine mit dem Papier des Fahrers übergeben werden und nur die amtliche Bestätigung zurück in den Bus findet. Aber in Guinea scheint das Verkehrswesen, den Hauptbestandteil eines Polizistensoldes auszumachen. Alle geschätzte 10 Kilometer treffen wir auf einen Polizeiposten, der jedes Mal Geld erhält. Man verheimlicht es nicht einmal. Und dann kommt wieder eine Kontrolle, etwa jede zwanzigste, an denen kein Geldschein in der Hand des Fahrers den Besitzer wechselt. Da ich hinter Barry sitze, kann ich dieses Besoldungssystem sehr gut beobachten. Es bleibt mir schleierhaft. Vielleicht sind das jene Uniformierte, die per Überweisung ihr Geld erhalten.
Wir fahren über eine Landstraße, vorbei an Ortschaften, Polizisten und ich sehe wenige Male Affen in Gruppen auf der Straße stehen. Leider habe ich die zwei Akkus meines Camcorders geschrottet, sie wurden auf Stand By in der Tasche überhitzt, und mit dem IPad zu filmen, fällt mir noch schwer. Es ist mein mobiles Büro, mit all meinen Passwörtern, Emails und mehr. Ich fotografiere und filme nur ungern mit dem Tablet, zu sehr fürchte ich einen Bruch oder gar Verlust. Ich verpasse es deshalb die Affen zu filmen.
Irgendwann am späten Vormittag, erreichen wir eine belebte Ortschaft mit den vertrauten Verschlägen, den vermüllten Wegen und dem bekannten Duft des frisch zubereiteten Essen. Wir halten zu einer Pause an und ich sehe meine Chancen schwinden, dass die Hauptstadt bald erreicht wird. Auf meine Frage, wie viele Kilometer es denn noch nach Conakry sind, meint der Fahrer, maximal 500 Kilometer. Ich atme auf. In Deutschland würde ich auf vier Stunden Fahrtzeit tippen, doch in Afrika müssten wir in sechs Stunden am Ziel sein, so meine Berechnung. Ein zuhörender Schwarzer fängt an zu lachen und meint, dass wir mindestens bis zum nächsten Morgen um acht Uhr brauchen werden. Dies halte ich für arg übertrieben, hake aber bei Barry nach. Als er Inshallah auf diese Zeitangabe erwidert, frage ich mich, ob die zwei mich nicht hochnehmen wollen.
Etwa zwei Kilometer nach dieser Ortschaft habe ich Gewissheit. Das Grau einer Teerstraße verschwindet und stattdessen holpern wir im Schritttempo über schlammiges Braun. Durch dschungelähnliche Landschaften zieht sich diese rotbraune Furt den Weg in die Berge Guineas. Ich genieße den Ausblick auf wunderschöne Landschaften. Wälder unter mir und Berge in der Ferne, durch nichts menschengemachtes unterbrochen. Ich bin fasziniert von der Schönheit dieses Landes. Die Fahrt wird nicht schneller. An manchen Schlammlöchern stehen Menschen irgendeines Dorfes im dichten Wald, bereit unseren Bus aus dem Schlamm zu ziehen. Wir bleiben nicht stecken, aber ihre Kleider und Körper zeigen, dass sie schon einen arbeitsreichen Tag hinter sich haben. An einem weiteren kleinen See auf dem Weg, werfen andere Menschen große Steine hinein, um diese mit Hämmern zu zertrümmern und die Strecke befahrbar zu machen. Wir fahren keine 20 Kilometer je Stunde, so schätze ich, denn die Anzeigen der Armaturen unseres Busses funktionieren schon die ganze Reise nicht.
Irgendwann ist es Nacht und das Tempo wird trotz zunehmenden Verkehrs gehalten. Auf dieser Strecke fahren Motorräder, Autos, kleine und große Busse und die größten Lastwagen, die es in Afrika gibt. Diese Schlammfurche mit unzähligen Schlaglöchern ist tatsächliche eine Transitroute vom Senegal in die Hauptstadt. Respekt Guinea.
Barry hat während der ganzen Fahrt einen guten Job gemacht, aber nun ist er am Ende. Ich merke dies, da er plötzlich zu rasen anfängt. War er bisher die Ruhe selbst, rauscht er nun in der Dunkelheit über die Schlaglöcher und überholt an Stellen, wo man dies unterlassen sollte. Mir graut vor einer Weiterfahrt mit ihm. Wir erreichen eine kleine Stadt in den Bergen, wo wir eine Pause einlegen, damit die Fahrgäste etwas Essen können und Barry legt sich an der Straße auf einen Karton und schläft augenblicklich ein. Dann eine Überraschung. Nach einer Stunde steht ein weiterer Fahrer für uns bereit und Barry verpackt das Gepäck des Kofferraums ebenfalls auf das Dach, damit er sich in die Ablage legen kann. Normalerweise fährt er diese Strecke durch, aber seine Firma möchte, dass er im Anschluss gleich einen Bus zurück nach Dakar fährt, was der luxuriöse Grund nun ist, dass wir einen Ersatzfahrer erhalten. Ich bin heilfroh und schicke ein Stoßgebet in den Himmel. Leider hat dieser Fahrer längere Beine und seine erste Handlung im Bus ist, dass er den Sitz zurückfährt und mir meine nicht vorhandene Beinfreiheit weiter einschränkt.
Wieder im Schleichgang, über Schlamm, durch Wasserlöcher und in Schlangenlinie auf dieser Route durch den Dschungel und über die Berge Guineas. Ich bin mit dem neuen Fahrer zufrieden, bis er für eine Toilettenpause anhält, uns aussteigen lassen will und Motor und Licht des Busses ausschaltet.
Unser Van ist pechschwarz, nun ohne jegliche Beleuchtung. Kein Mond spendet durch die Blätter des Waldes einen Lichtstrahl und wir stehen in einer unübersichtlichen Kurve ohne Seitenstreifen mitten auf der rechten Fahrbahn, dieser frequentierten Sand und Schlammstraße. Wir sind für jedes ankommende Fahrzeug unsichtbar und ich gerate in Panik und schreie den Fahrer an, er solle schnellstens die Lichter des Fahrzeuges wieder anschalten. Meine Sitznachbarin sieht das genauso, während alle anderen auf mich sauer sind, da ich die Tür nicht schnell genug öffne und sie wohl dringend auf die Toilette müssen. Ich springe aus dem Bus und stelle mich fünfzig Meter vor die nun wieder leuchtenden Scheinwerfer unseres Vans. Natürlich kommen zwei Autos und ein Lkw um die Ecke gerast und holpern sicher an uns vorbei.
Welle Wahnsinn.
Nach diesem Erlebnis bin ich hellwach und das Adrenalin pocht in meinen Venen. Und ich schwitze. Damit ich nicht eine weitere Nacht frieren muss, habe ich mir die dicke Decke unserer Sitzbank geschnappt und voluminös auf meine Knie gestapelt, doch unser Ersatzfahrer fährt lieber mit geschlossenem Fenster und auch die stille Beifahrerin, lässt heute keine Zugluft herein. Eine Nacht frieren und eine Nacht schwitzen, so denke ich, bringt mich auch auf eine passende Durchschnittstemperatur.
Gelegentlich nicke ich ein, aber es sind nur kurze Ruhepausen. Die Schlaglöcher verhindern einen tieferen Schlaf.
Immer noch fahren wir durch die Berge und den Dschungel, doch diesmal geht es meist und kurvenreich bergab. Ich sehe immer mehr Lkws am Straßenrand parken, bis sie eine geschlossene, kilometerlange Reihe bilden, an der wir kaum vorbeikommen. Dann bleiben auch wir stehen.
Ein Lkw, der auf der Gegenfahrbahn den Berg erklimmen wollte, ist im Schlamm stecken geblieben und versperrt mit anderen Fahrzeugen, die an ihm vorbei wollten und die dasselbe Schicksal ereilte, den Weg. Nun halten wir in einer unübersichtlichen Ansammlung von stehenden Fahrzeugen und warten auf irgendeine Lösung dieses Problems. Ich könnte heulen, bin müde, meine Knie schmerzen und meine Mitreisenden stöhnen und seufzen nun auch hörbar, über diese unnötige Zwangspause.
Vor meiner Autotür füllt sich der schwammige Weg mit Menschen, die sich das Geschehen ansehen möchten. Auch ich steige nach etwa einer halben Stunde aus dem Auto aus, da ich an der Unglücksstelle, etwa in hundert Meter Entfernung, ein gelbes, blinkendes Signallicht sehe. Tatsächlich, ein großer Bagger ist am Werk und versucht den Lkw zu bewegen. Es dauert eine weitere Stunde bis ihm dies gelingt und der Lkw an der Seite steht und den Weg freimacht.
Nun erlebe ich eine Show, über die ich schon während der Vorstellung lachen kann. Mehrere hundert Menschen, jene die mit uns am Berg aus ihren Bussen, Autos und Lkws gestiegen sind, sowie jene die bergaufwärts im Stau stehen, fühlen sich nun für den weiteren Ablauf und den Verkehr verantwortlich. Anweisungen werden geschrienen, von anderen lautstark verworfen, neue Menschen kommen hinzu und haben wiederum ganz andere Ideen, wie der Verkehr zu fließen habe. Kein Fahrzeug bewegt sich in diesem Tumult
Mir fällt nun auch ein blinkendes Blaulicht auf, sehe aber keinen einzigen Polizisten. Klar, die müssen ja auch Geldeintreiben an ihrem Kontrollposten. Ich schaue mir das Tohuwabohu etwas an und laufe durch den Schlamm zurück zu unserem wartenden Bus. Fast rutsche ich aus und lande im Dreck. Das hätte mir noch gefehlt.
Irgendwann geht es weiter. Zuerst dürfen einige Fahrzeuge, an uns vorbei, den Berg erklimmen. Dann sind wir dran, schlängeln in einer stockenden Prozession bergabwärts durch die scheinwerferbeleuchtete Dunkelheit. Nun schlafe ich tatsächlich auch ein.
Als ich wiedererwache hat die Dämmerung begonnen und wir halten in einem Dorf, damit der Fahrer Wasser in die Kühlung kippen kann und sich anstatt Barry in den Kofferraum legt, der nun wieder am Lenkrad sitzt. Meine Beine freuen sich über diese Änderung. Ich jedoch, bin aufgrund meiner lauten Anweisung in der Nacht, das Licht der Scheinwerfer wieder anzuschalten, bei Barry untendurch. Obwohl er mich schon mehrmals mit meinem Vornamen angesprochen hat, nennt er mich nun nur noch Mr. Allemande. Ich reagiere, indem ich meine Sitznachbarn bitte, doch dem Mr. Chauffeur jenes oder dieses auszurichten, da mein Französisch so schlecht ist.
In dieser kindischen und schlechten Stimmung haben wir weitere, etwa 300 Kilometer in die Hauptstadt vor uns. Neben den zwei Fahrern, einer am Lenkrad und einer im geöffneten Kofferraum, befinden sich neun weitere Menschen mit mir in diesem Gefährt.
Auf dem Vordersitz sitzt jene Frau, von der ich mittlerweile erfahren habe, dass sie psychisch angeschlagen ist, weil ihre Tochter im Sterben liegt. Dahinter auf meiner Sitzbank, ihr Mann, ein Liberianer, etwa sechzig Jahre alt und in Kleidung, welche ihn als Muselmann ausweisen. Neben ihm Baba, ein sympathischer junger Schwarzer in Adidas Klamotten und Basecap, Pheobe aus Liberia, mit der ich langsam ins Gespräch komme, da sie Englisch spricht und eben ich. Auf der Rückbank sitzen eine sehr nette und junge Verschleierte mit ihrer achtjährigen und immer gutgelaunten Tochter, sowie zwei weitere bunt Verschleierte, eine ältere Frau aus Conakry mit ihrer Tochter und noch eine Muslimin, die allein zu reisen scheint.
Lediglich mit Pheobe, Baba, dem Muselmann und den zwei Chauffeuren habe ich gelegentliche Unterhaltungen, mit den Musliminnen unterlasse ich es, es wäre unschicklich. Dem süßen Mädchen schenke ich einen Luftballon und sie, sowie ihre Mutter bedanken sich mit einem wunderbaren Lächeln. Die ältere Verschleierte, der ich einmal beim Aussteigen zur Hilfe einen Arm anbiete, lehnt diesen hingegen ab. Bei ihr breche ich kein Eis mit Symbolik.
Mir wird die Fahrt nun endgültig zu schmerzhaft. Schon länger fahren wir wieder auf Teerstraßen, die jedoch ebenso nur aus Löchern und Wasser zu bestehen scheinen. Den Verkehr zu beobachten ist interessant, denn jedes Fahrzeug fährt Schlangenlinie und es gilt das Recht des Stärkeren. Wir stoppen für Lkws und Busse, die uns in ihrer Ideallinie entgegenkommen. Dafür machen uns kleinere Autos und die unzähligen Motorräder Platz und weichen uns aus.
Wie jede Tortur hat auch diese irgendwann ein Ende und wir fahren durch die Vorstadt Conakrys. Es ist kurz vor Mittag an diesem dritten Tag auf Reise und ich freue mich auf eine ausgiebige Dusche, einen Kleidungswechsel und Essen. Ich bin mir treu geblieben und habe seit Dakar nur Cola und Wasser zu mir genommen.
An einer Kreuzung werden wir jedoch wieder von Polizisten gestoppt. Diesmal scheint die mehrfach bestätigte Genehmigung unseres Fahrers nicht mehr zu genügen und es kommt zu einem fürchterlichen Streit, zwischen Barry und einem Uniformierten. Der Beamte nimmt den Zettel an sich, geht damit spazieren und ich sehe Barry resignierend in den Fahrersitz sinken. Ich lasse mir das Geschehen von meiner Sitznachbarin erklären und sie meint, dass unser Fahrer verzweifelt ist, weil er das Original wahrscheinlich nicht mehr zurückbekommt und ab jetzt die Sache für ihn teuer werden wird.
Ich schlage vor, den Zettel zu fotografieren und sehe eine Chance, mich für meinen Fahrer und unsere Reisegruppe verdient zu machen. Ich rufe dem Polizisten hinterher und als er dies ignoriert, steige ich aus dem Van aus und stelle ihn mit meinem Wunsch, die Genehmigung mit meinem Handy abzulichten. Er hört mir nicht zu, ignoriert mich abermals, dreht sich um damit er an mir vorbeikann und lässt mich ohne Antwort stehen.
Ich bekenne mich zu meiner Schwäche schuldig. Aber mich zu ignorieren, während ich etwas begehrlich vortrage, hat dieselben Auswirkungen, wie bei Steve Martin in Tote tragen keine Karos, wenn er das Wort Cleaningwomen hört. Ich ticke aus.
Ich schreite neben ihm her, schreie ihn regelrecht an, dass ich mit ihm rede, was er immer noch ignoriert, bis ich mein Handy schnappe und ihn fotografiere. Danach ist die Hölle los. Umringt von etwa zwanzig laut gestikulierenden Polizisten, die plötzlich aus dem Nichts auftauchen, erkläre ich ebenso laut meine Handlung und das unmögliche Gebaren meines Kontrahenten.
Ein kleiner Mann in Uniform und mit Schulterklappen, stellt sich brüllend als Colonel und Verantwortlichen vor. Er will mein Handy, was ich ihm nicht gebe, denn ich habe es heimlich bei Pheobe, die nun neben mir steht und Beistand leistet, in die Tüte gesteckt. Ich gebe ihm dafür meinen Ausweis und streite weiter mit ihm. Er bezeichnet mich als Amerikaner und ich erkläre ihm lauthals, dass er es mit einem Deutschen zu tun hat.
Er zeigt mir den Vogel und deutet auf seine Handschellen, aber ich bin schon zu weit gegangen, um ihm den voreiligen Sieg zu schenken. Stattdessen blicke ich ihm Ernst in die Augen, hoffe dass er lesen kann; willst Du Dir diesen Ärger wirklich aufhalsen?
Es ist ein Machtspiel um Alles. Afrika gegen Europa, Schwarz gegen Weis, staatliche Willkür gegen zivile Unbeherrschtheit, Ausgeruht gegen Übermüdet, Klein gegen Groß … die Götter mögen Komödien.
Meinen Erfahrungen nach, sind kleine, laute Menschen in Uniform, im wirklichen Leben nicht immer Helden. Vor den Stillen und Ruhigen muss man sich in Acht nehmen, egal welcher Größe. Ich hoffe nur, dass der Colonel nicht über die gleichen Menschenkenntnisse verfügt, denn auch ich schreie rum, bin somit harmlos und jederzeit bereit, auf Appeasement umzuschwenken.
Doch das laute Gezerre geht erst mal weiter. Neben Pheobe sind nun auch die verschleierten Frauen zu uns getreten und die ältere, mir unsympathische, knöpft sich nun den Colonel lautstark vor. Von den Männern unseres Busses kann ich keinen in dem Tumult entdecken. Man will Pheobe die Tüte entreißen, welche diese ruckartig an sich zieht, während der Colonel und ich noch unser Duell austragen. Doch auf ihn kommt es nicht mehr an.
Ein großer schwarzer Polizist mit korrekt sitzender Uniform, ruhig und gelassen, ist hinzugekommen und lässt sich den Sachverhalt vom Colonel, mir und den Frauen erklären. Ich erkenne unseren Sieg, als der Colonel dazu übergeht, sich als Opfer zu schildern, denn Pheobe hätte ihn am Arm gewürgt und geschlagen, als er ihr die Tüte abnehmen wollte.
Ich fasse Vertrauen, befehle Pheobe mir das Handy zu geben, damit ich den Film oder das Bild löschen kann, welches für diesen Tumult verantwortlich ist. Der große Polizist sucht die Aufnahme, es ist ein Film, und fängt dann an zu lächeln. Der Clip ist schwarz, in der Eile gedreht und man kann gar nichts darauf erkennen. Ich lösche das Nichts, entschuldige mich bei dem Polizisten, drücke dem Colonel ebenfalls entschuldigend die Hand und höre mein Herz pochen, während ich zum Van laufe und dort einsteige. Erleichtert und hysterisch lache ich mit den Frauen über unseren Empfang in Conakry.
Den größten Anteil unseres Sieges, denn Barry musste keine horrenden Bestechungsgelder bezahlen, rechne ich der älteren Guineerin und ihrer Tochter an. Sie haben das Blatt für uns gewendet, während ich mich noch im Hahnenkampf befand. Wieder denke ich, wo waren meine vier männlichen Begleiter in der halben Stunde dieser Not?
This is a man’s world?
Wir fahren weiter und langsam leert sich unser Minibus. An verschiedenen Haltestellen wird Gepäck abgeladen und ich verabschiede mich, peu a peu, von den anderen Fahrgästen.
Pheobe und ich haben beschlossen, dass wir die Reise bis in die Elfenbeinküste zusammen zurücklegen. Sie muss dort auch in die Hauptstadt und gemeinsam können wir Kosten sparen und uns gegenseitig unterstützen. Pheobe, ist aus Liberia, hat in Amerika gelebt und möchte in der Elfenbeinküste eine Verwandte besuchen. Sie ist Witwe und ihr Sohn lebt momentan in Marokko, bei ihrem Bruder, wo sie nach der Elfenbeinküste ihr nächstes Ziel sieht.
Ich schenke ihr Vertrauen und bin auch etwas erleichtert, dass ich nun eine resolute und kantige Afrikanerin an meiner Seite habe. Sie erzählt mir ihre Geschichte und es klingt mir stimmig. Nach einer kurzen Verabschiedung bei unseren Fahrern, schnappen wir uns ein Taxi und suchen uns ein Hotel. Pheobe lässt mich im Auto warten, während sie über den Preis verhandelt, denn als Weißer würde ich diesen sicherlich in die Höhe treiben.
Wir checken in einem schönen Hotel in Küstennähe ein und teilen uns ein Doppelzimmer, leider wieder ohne funktionierendes Wifi. Ich lasse Pheobe zuerst duschen, während ich meine Kameras, den Laptop und das IPad überprüfe und auflade. Mein Versuch, die Kamera mit der Powerbank zu benutzen lehnt diese ab. Sie will einen funktionierenden Akku. Scheiße.
Ich dusche ausgiebig, schnappe mir neue Klamotten, die nicht so schmutzig sind, wie jene die ich drei Tage anhatte und gönne mir eines von den Bieren, die meine neue Reisebegleitung uns besorgt hat. Später gehen wir essen und zurück auf unser Zimmer. Dort nimmt sie ihre ankommende Erkältung in Empfang, woraufhin ich ihr eine meiner Tabletten gebe und sie bald darauf einschläft. Ich schreibe noch einige Zeit an den Blogbeiträgen, putze mir die Zähne und lege mich ebenfalls hin.
Das Bett ist groß und ich habe auf meiner Seite genügend Platz für den Schlaf. Ebenso wie ich, hat auch Pheobe sich in Kleidern auf die Matratze gelegt und atmet nun gleichmäßig, woran ich ihren Schlaf erkenne. Danach schlafe auch ich, endlich wieder mit ausgestreckten Füßen, ein.
Bis bald.