Todtnau – Präg-Rathaus-Bushaltestelle – Es ist 15:00 Uhr am zweiten Pilgertag.
Heute Morgen bin ich nach einem Frühstück und einem Gebet mit Benjamin weiter gewandert. Das Gepäck ist nicht leichter geworden, es hat sogar zugenommen. Benjamin hat mir ein modernes Walkmen (I-Pod) und das Buch „Willkommen Daheim“ geschenkt. Nun sitze ich hier an dieser Bushaltestelle, höre die Lieder von Ben Jamin` und tippe meine ersten Pilgererinnerungen in das Netbook.
Das Wandern: Aufbruch in Todnau, nach der Tankstelle den Berg hoch zum Hasenhorn. Nieselregen, Wald, ein schöner Wanderweg, doch es geht nur Berg auf.
Ich bin am ganzen Körper Nass – kein Regen, es ist der Schweiß. Oben geht es weiter zum Gisiboden, ich treffe ein paar Esel, dann zum Bernauer Kreuz. Mir gehen Gedanken durch den Kopf und ich summe vor mich hin. Beim Bernauer Kreuz rauche ich und wandere weiter nach Bernau, bis ich …ja bis ich mich verlaufe. Ich laufe das Prägtal hinab (Ach hier ist das), gefühlte 1000 Kilometer, der Rucksack drückt, ein erstes Blasenpflaster kommt an meinen linken Fuß, die Dornwarze am rechten Fuß meldet sich. Begegnungen der besonderen Art: ein Insekt mit langem Schwanz begleitet mich eine Weile und fliegt an meiner Seite, ich sehe eine Rehmutter mit zwei “Bambis”, sie begrüßen mich, ehe sie ins Dickicht verschwinden. Zwei Autos kommen den Berg hinauf – gerade jetzt, der Zauber ist verschwunden. Ich laufe, laufe und laufe und … endlich Häuser…doch gleich noch die Enttäuschung: Das Gasthaus “Hirschen” hat Ruhetag und der nächste Bus fährt erst in einer Stunde.
Erschrecken: Ich bin im Kreis gelaufen, habe keinen Boden nach Tansania gutgemacht. Obwohl ich etwa 20 Kilometer gewandert bin und unzählige Höhenmeter überwunden habe. Das Straßenschild lacht mich aus und verkündet: Nach Todnau 8 Kilometer. Total im Kreis gelaufen. Ich bin körperlich am Ende, bin hungrig und müde, meine Wasserflasche ist seit dem Hasenhorn leer. Ich werde in den Bus nach Todtmoos steigen. Nun sitze ich hier und warte. Eine nette Frau in diesem Dorf (wo bin ich eigentlich?) hat mir die Flasche wieder mit Wasser gefüllt und sie hat mir zwei kleine Bier aus ihrem Keller geholt – Gott segne sie, das war gerade Lebensrettung. Der Bus nach Todtmoos kommt.
Weiter geht die Reise. Ich fahre mit dem Bus den Berg an einer anderen Seite wieder hoch, ich habe mich arg verlaufen. Dann das Tal wieder runter nach Todtmoos. Wir fahren am Hotel Rössle bei der Familie Thomas Maier vorbei. Hier könnte ich wahrscheinlich als Gast übernachten, denn das Hotel ist in unserer Gemeinschaft der Wanderidee dabei. Ich überlege kurz und denke an die gute Küche des Hauses, meine letzte Nahrung habe ich beim Frühstück zu mir genommen. Aber ich entscheide mich dagegen, denn heute möchte ich pilgern. Ich möchte in Todtmoos als Pilger auftreten und ich möchte um Obdach und Gastfreundschaft bitten. Morgen bin ich bei meiner Mutter, dann in der Schweiz und Italien.
Heute ist also die letzte Möglichkeit, um auf meinem deutschen Heimatboden als Pilger aufzutreten. Der Bus hält am Busbahnhof und ich sehe die Kirche. Das Haus meines Vaters, hier in Todtmoos. Ich verlasse den Bus. Meine Beine sind schwer, mein Rücken tut weh, meine Blase und auch der Rest beider Füße rebellieren in Schmerzen. Aber ich überwinde mich und steige hinauf zur Kirche und zum Paulinerkloster. Es ist fast 17:00 Uhr. Vor dem Kloster sehe ich zwei Handwerker, die mir die Tür zum Pfarrer weisen, denn das Pfarrbüro ist um diese Zeit geschlossen.
Ich klingele, der Pfarrer kommt und ich beginne: „Mein Name ist Stephan Sulzberger, ich komme aus Hinterzarten, bin auf einer Pilgerreise und suche heute Nacht ein Obdach und Gastfreundschaft. Können Sie mir helfen?“ Es ist ein Pfarrer, etwa in meinem Alter, er ist zivil gekleidet, ich habe ihn bei irgendetwas gestört. Er kann mir nicht helfen, kennt auch keine Person in seiner Gemeinde, die mir helfen könnte und er hat sichtlich keine Zeit. Er fragt nicht nach, was mich verwundert, zeigt keinerlei Interesse an meiner Person und meinem Schicksal. Ich gehe. Ich schlendere durch den Ort, mein Rücken schmerzt, die Füße streiken. An einer Straße entdecke ich das katholische Pfarrhaus, durch die Scheiben sehe ich Menschen. Ich betrete das Gebäude und will zu den Menschen, da kommt mir eine resolute Frau entgegen und fragt was ich will. Im Gegensatz zum Pfarrer lässt sie mich erst gar nicht ausreden und unterbricht mich beim Pilgerabsatz mit den Worten, „damit haben wir nichts zu tun, wir haben heute nur eine Versammlung hier“. Mit was haben die nichts zu tun? Ich frage nach der Evangelischen Gemeinde und erhalte eine Weg Beschreibung. Wieder 500 Meter bergauf. Ich betrete das Gotteshaus, keiner ist da. Ich gehe in die kleine Kirche, sie ist schön und ich genieße die Atmosphäre. Ich bete – halbherzig, ich gebe es zu. In das ausliegende Gästebuch schreibe ich hinein: Ich war als Pilger hier…seid bereit für andere Pilger. Vielleicht gibt es nach mir Menschen, die gastlicher aufgenommen werden. Ich glaube nicht, dass in Todtmoos keine Menschenseele ein Obdach für mich hätte. Aber wie soll ich sie finden? Mein Anlauf bei den Kirchen war ernüchternd, für die Bürozeiten und lange Erklärungen bin ich zu spät dran. Gottes Diener haben Feierabend und die Gläubigen der Gemeinde sind nicht zu greifen. Hätte ich meine Pilgerempfehlung zeigen und auf Gastfreundschaft bestehen sollen? Ich möchte keinen Unfrieden vor Ort stiften. Es wäre heute Etikettenschwindel gewesen. Ich bin sicher, dass, wäre ich darauf angewiesen gewesen, Gott mir die Türen in Todtmoos geöffnet hätte. Also belasse ich es bei dem kurzen Versuch. Ich laufe den Berg wieder runter und steuere das erste Gästehaus an.
Im Hotel Ratsstüble finde ich eine warme Dusche, ein nettes Zimmer, einen mürrischen Koch und eine freundliche Bedienung. Das Essen ist gut und reichhaltig und ich trinke Weizenbier. Darf man beim Pilgern Weizenbier trinken? Ich habe ein schlechtes Gewissen und bestelle noch eins. Meine Pilgererfahrung in Todtmoos kann ein Weizenbier vertragen. Ich trinke aus und gehe früh ins Bett – es ist kurz nach 20:30 Uhr. Mein Rücken schmerzt, die Füße klagen, ich nehme Voltaren und rauche eine letzte Zigarette auf dem romantischen Balkon. Ich blicke auf Todtmoos, dann gehe ich ins Bett.