11 Oktober 2010 im Hotel Carlton
Ich erwache gegen 09:00 Uhr in meinem Zimmer des Hotels Carlton und betrachte mein Etablissement. Eine fünfmeterhohe Decke thront über mir. Das Zimmer sowie das ganze Hotel, strahlt eine koloniale Würde aus, die ich sonst nur aus Filmen kenne. Leider wurden in jenen Zeiten auch Zimmer und Hotel zum letzten Male renoviert. Ich gehe in dem imposanten Restaurant unten frühstücken und genieße auch hier eine Atmosphäre, die Zeiten überlebt hat. Alle sind hier freundlich, alle sind hier bemüht aber in keiner Weise hektisch oder das was man bei mir zuhause „schnell“ nennt. Als Höhepunkt der surrealen Zeitreise hat das Hotel Ben Kinsley an der Rezeption aufgeboten.
Ich nenne diesen Mann so, weil er spricht und wie der berühmte Schauspieler aussieht. Der Film geht auf angenehme Art weiter, bis ich mich entschließe meine Umgebung in Kairo etwas unter die Augen zu nehmen. Vor der Tür des Hotels erwischt mich Kairo heiß und laut. Menschen, Hupen, Schreie, Autos und eine unbarmherzige Sonne. Ich bummle herum, esse ein ägyptisches Fastfood, trinke einen Tee in dem Treiben und flüchte wieder in das Hotel zu Ben. Hier chatte ich mit Amir und verabrede mich mit ihm über Facebook zu einem Treffen am späten Nachmittag. Ich schreibe an dem gestrigen Blogartikel und lade ihn samt Bildern hoch. Zeit für einen Mittagsschlaf, trotz Muezzin und Autolärm vor der Tür. Gegen halb fünf lasse ich mir ein Taxi holen, das mich für 30 Pound zu Amir bringen will. Ein Arbeitskollege von Ben übersetzt, gibt Adresse durch und klärt den Preis ab. Ich fahre durch die Straßen von Kairo, Millionen andere tun das auch. Es ist der nächste Film. Was muss man bei uns für eine Führerscheinprüfung alles lernen?- Hier nützt es gar nichts.
Autos fahren wild durcheinander, scheinbar ohne System, dazwischen lebensmüde Fußgänger welche die Straßen überqueren. So etwas habe ich wirklich noch nie erlebt. Ich fühle mich nicht wohl, bremse auf dem Beifahrersitz mit und schaue ständig über die linke Schulter – ein Gespräch mit dem Taxifahrer würde wegen mangelnder Verständigung eh nicht klappen. Nach einer halben Stunde wird es besser und ich fange an, die Aussichten und die Atmosphäre zu genießen. Eine Stunde später werde ich unruhig. Amir meinte zwar; „Hier sind alle Strecken lang wegen des Verkehrs.“ – doch ich habe den Verdacht, dass der Fahrer nicht weiß Wohin? Endlich die Bestätigung – er fragt ein Pärchen am Straßenrand – sie schicken uns wieder zurück. Gegen 07:00 Uhr sind wir an der richtigen Stelle und ich sehe Amir Warten.
Natürlich will der Fahrer nun mehr als das doppelte des ausgemachten Preises und ich rege mich fürchterlich auf; “Bin ich der Taxifahrer oder Du? Amir sieht das locker, er ist schon seit Juli in Kairo. Wir fahren mit seinem Auto zu ihm nach Hause, trinken Tee und spielen mit Charlie, dem Hund seines Cousins Achmed. Achmed sitzt zu uns und wir unterhalten uns, trinken nun Kaffee. Sein Cousin ist als Kaffeejunkie bekannt und wir machen darüber Späße. Gemeinsam erzählen sie mir von Ägypten und helfen mir bei einer weiteren, möglichen Reiseroute durch ihr Heimatland. Gegen 21:30 Uhr brechen Amir und ich auf, denn wir haben Hunger und wollen noch etwas von der Nacht erleben. Wir fahren Richtung Gizeh, weniger geplant als einem Impuls folgend. Wir reden, lachen und ich genieße die nächtliche Fahrt in Kairo und Umgebung. Irgendwann stehen wir in Gizeh vor den Pyramiden.
Sie sind umwerfend und machen einen mächtigen Eindruck auf mich, ich spüre einen kurzen Moment eine besondere Energie. Oder ich bilde sie mir ein. Wir wollen noch näher ran und fahren weiter, vor den Pyramiden steigen wir aus. Ein Mann führt uns zu den Stallungen, damit ich die Pyramiden besser fotografieren kann. Die Fotos werden nichts, die Monumente sind immer noch zu weit weg, bei dieser Nacht. Welch ein Glück – wir können einen Kamelritt in die Wüste haben und die Pyramide aus der Nähe betrachten. Ich bin begeistert und Amir verhandelt. Natürlich machen wir das. Zu dritt fahren wir zu dem Gestüt wo Kamele auf uns warten. Amir ist nicht ganz wohl in diesem Hinterhof doch ich fühle mich sicher, kann nichts „hinterhältiges“ an dieser Situation erkennen. Und so ist es dann auch – ein Kommen und Gehen von Reitern auf Kamelen, Pferden und Eseln. Nachtschicht auf dem Reiterhof. Die Kamele sind imposant, der Weg durch die Wüste ist ein Erlebnis und ich fühle mich wie „Laurence von Hinterzarten“. Auf einer Anhöhe sind eine Blechhütte, ein paar Teppiche hinter Steinen, schwarzer Tee und wunderbare Ausblicke zu den Pyramiden, Gizeh und Kairo. Unser Guide sitzt bei uns und erzählt von seinem Wissen über die Pyramiden und von den anderen Ausflügen die er sonst noch anbietet. Er ist sehr angenehm und nett. Ich versuche zu meditieren, es gelingt nicht – doch ich genieße den Augenblick und kann mich ganz entspannen. Jahrtausendalte Monumente und Kultur – daneben die beleuchtete Skyline des Heute. Romantischer geht kaum noch. Gegen halb eins brechen wir mit den Kamelen wieder auf, reiten diesmal mit direktem Blick auf die Pyramiden, an ihnen vorbei.
Amir und ich sind müde und überwältigt. Amir fährt mich in Richtung Hotel, setzt mich in das nächste Taxi, wir verabschieden uns, dann fahre ich mit einem netten Taxifahrer zurück zu meinem Hotel. Der Fahrer ist sich seiner diesmal sicher und gegen zwei Uhr erreiche ich mein Zimmer und das Bett. Der heutige Tag in Kairo hat Lust auf mehr gemacht.
Amir fliegt leider für einige Zeit nach Europa und ich werde ihn auf meiner Reise nicht wiedersehen, doch den Abend nimmt uns keiner mehr.