Dahab den 18 Oktober 2010
Heute möchte ich zum Heiligen Berg – zum Berg, auf dem Moses die Gebote Gottes erhalten haben soll.
Ich möchte vorbereitet sein, deshalb kaufe ich vier Literflaschen Wasser, zwei Obstsäfte, Brot, Zwiebel, Tunfisch und Käse. Dazu packe ich warme Kleidung, Schlafsack und meinen Gebetsteppich, den ich (wahrscheinlich) vor zwanzig Jahren in Pakistan erstanden habe und der mich auf unerklärliche Weise über die Jahre hartnäckig begleitet. Zuletzt habe ich ihn bei Matthias im Böhlerhäusle gefunden, als ich in meinen Sachen nach Verwertbarem für die Reise suchte. Natürlich ist der Teppich jetzt auf dieser Pilgerreise dabei – vielleicht war das seit jeher seine Bestimmung. Ich bin bereit. Bereit für den Trip zum Berg, bereit für Gott. Mohammed vom Bishbishi hat mir ein Taxi organisiert und der angenehme Fahrer Karim fährt mich die etwa 130 Kilometer lange Strecke an den Fuß des Berges in knapp zwei Stunden.
Dort treffe ich meinen Guide, ebenfalls mit Namen Mohammed und wir freunden uns sogleich an. Ich erzähle ihm, dass ich in meiner Heimat auch gelegentlich als Guide arbeite und Gäste in die Wälder und Berge des Hochschwarzwaldes führe. Ich hätte dies vielleicht nicht erwähnen sollen, den Mohammed schlägt ein Tempo an, dass ich mich fühle wie der Soldat einer Wüstenspezialeinheit auf eiligster Mission. Ich kapituliere nach wenigen Kilometer. Schweres Gepäck, dazu die unbarmherzige Mittagssonne in einer Steinwüste – ich schnaufe erschöpft, meine Brust schnürt sich zu und mein Kopf schmerzt. Dies nach einer halben Stunde Aufstieg. Mohammed ist ein sehr guter Guide – er merkt sofort, dass ich eine Rast brauche, er wird dies noch öfters feststellen. Wir trinken Tee bei Beduinen die er kennt, es sind keine offiziellen Teeverkäufer aber natürlich erhalten sie Bakisch für ihre Gastfreundschaft. Es geht weiter in Schweiß und Schmerzen. Mohammed ist gelangweilt, telefoniert hin und wieder und lässt mich an vielen Steigungen rasten. Er ist nun ohne Hast, nur mein guter Guide dessen Plicht es ist, mich auf diesen Berg zu bringen. Professionell lenkt er mich bei dem Aufstieg immer wieder ab, zeigt mir den Katharienberg, Beduinensiedlungen im Tal und andere Ausblicke, nicht weil es mich interessiert, sondern weil er mir damit weitere Pausen verschaffen will, ohne diese so zu nennen.
An einer Hütte verschnaufen „wir“ erneut und ich lade diesen Menschen zu einer Cola ein, die man dort kaufen kann. Dann geht es weiter und nach über zwei Stunden erreichen wir die Steinstufen zu dem Gipfel. Habe ich gedacht, es sei nun geschafft? Weit gefehlt – das Martyrium geht weiter. Eine drückende Nachmittagssonne über mir, 700 Stufen steil in den Berg gehauen, vor mir, und mein Gepäck hat lediglich um das Gewicht einer Literflasche Wasser abgenommen. Aber auch diese Hürde überlebe ich und endlich stehe ich unterhalb des Gipfels bei den Verkaufsbuden der Beduinen. Hier werde ich auch schlafen. Wir trinken Tee, dann verabschiedet sich Mohammed, gibt mir noch Instruktionen für den morgigen Abstieg, bei dem er mich wieder mitnehmen will.
Ich bin nun allein mit den fünf Beduinen, es ist kurz nach drei Uhr. Ich lege das Gepäck in eines der Kioske, die auch als Schlaflager dienen, nehme warme Kleidung heraus und ersteige die letzten Stufen zum Gipfel. Auch eine Gruppe aus Süddeutschland ist hier. Sie stimmen das Lied „Lobet den Herren“ an, ich summe mit und genieße diesen Moment mit geschlossenen Augen. Anschließend liest ein Mann aus der Gruppe aus der Bibel vor, wie Moses von Gott die Gebote erhält. Seine Interpretation des Textes danach gefällt mir. Leider bricht die Gruppe wieder auf, denn sie möchten keinen Abstieg im Dunkeln. Ich bedanke mich bei ihnen für dieses Schauspiel, das ich als Gast genossen habe – Hintergrundmusik eines Chors, dazu die Texte – wahrlich eine schöne Begrüßung am Heiligen Berg. Vor dem Sonnenuntergang treffen weitere Personen ein und letztendlich sind es etwa 20 Menschen, die den Tag auf diesem Berg verabschieden, mit Blick in eine fantastische Landschaft. Dann bin ich wieder allein – kein anderer Tourist sonst will auf diesem Berg übernachten.
Das freut mich, das hatte ich mir gewünscht. Ich gehe die Stufen runter zu meinem heutigen Nachtlager und mache mich hungrig über Wasser und Essen her. Ich esse mit meinem Taschenmesser und aus Unachtsamkeit schneide ich mir in die Zunge, blute leicht. Ich werde nachdenklich, denn diesem kleinen Schnitt messe ich doch eine Bedeutung zu – mein Blut vergossen am heiligen Berg. Ein Symbol nur aber es gibt mir zu denken.
Zeit zu beten. Ich klettere in der Dunkelheit wieder die Stufen hoch, setze mich auf einen Felsen unterhalb des Gipfels und bete. Es ist ein einseitiges Gespräch und ich plaudere drauf los. Erzähle was ich denke, mir wünsche und natürlich bedanke ich mich. Gott wird mir in dieser Nacht nicht erscheinen, auch keine Engel werden sich in meine Träume schleichen – dies habe ich aber auch nicht erwartet. Ich treffe mich mit Gott in Oldupai. Aber er hört mir zu, dies glaube ich zu spüren. Vielleicht zwei Stunden, vielleicht mehr dauert dieser Monolog, dann überwältigen mich Kälte und Müdigkeit. Ich gehe zurück ins Lager, schaue noch etwas den Beduinen zu wie sie mit Steinen, Holzstücken und Flaschendeckel ein Spiel spielen, dann gehe ich in den Kiosk, lege mich auf dem Boden schlafen.
Ein mühsamer Tag und ein magischer Abend enden. Auch bin ich etwas stolz, denn fast 20 Jahre nach der „Schmach vom Mount Merapi“, ist diese nun getilgt. Otmar, heute habe ich oft an Dich gedacht.