Auf dem Nassersee, den 26 Oktober 2010
Ich wache mehrmals auf in dieser Nacht. Irgendwann gehe ich nach draußen auf das Heck und muss mit ansehen, wie ein Matrose den Müll, der sich an Bord gesammelt hat, über die Reling wirft. Die ganze Fahrt schon wundere ich mich, warum es so wenig Mülleimer gibt und habe dann den Müllberg an Heck entdeckt. Meinen eigenen Müll habe ich dazu geworfen, in Ermangelung besserer Alternativen. Nun muss ich mitansehen, wie diese große Ladung „peu a peu“ über Bord geht. Ich denke an eine Kurzgeschichte von Jack London, „der Schrei des Pferdes“, in der ein Amerikaner bei einem spanischen Stierkampf durchdreht und durch den Todesschrei eines Pferdes plötzlich Amok läuft. Ich könnte bei dieser Umweltsauerei nun ebenfalls Amok laufen.
Nochmal an meine afrikanischen Freunde zum mitlesen: Den Garten Gottes zu verunstalten ist HARAM!!! Super-Mega-Haram.
Woher ich das weiß? Dazu brauche ich kein Prophet zu sein. Ich gehe wieder unter Deck und schlafe irgendwie weiter. Gegen sechs Uhr kann ich nicht mehr. Mir tun die Knochen weh, der Hintern allemal und an Schlafen kann ich nicht mehr denken. Dafür liegt nun ein fremder Sudanese da, wo beim Sitzen meine Füße sein müssten und ich habe nun fast keinen Platz mehr.
Der Tag an Bord beginnt für mich und viele andere, manch einer legt sich jetzt erst schlafen. Ich frühstücke nichts, denn die Toiletten waren gestern schon keine Alternative – wie sie nun heute, nach der Nacht aussehen? Ich bin müde und kaputt, meinen Begleitungen geht es nicht besser. Unser Gespräch kommt heute nur schleppend in Gange. Ein sudanesischer Händler, mit dem ich gestern schon einige Male gesprochen habe, setzt sich zu uns und erzählt mir davon, wie schön und gut der Sudan sei, die Menschen so freundlich, kein Vergleich zu den Arabern und den Afrikanern. Ich entgegne ihm, dass der Sudan doch wohl auch Afrika sei und ernte dafür Beifall von Achmed. Auch mit dem Islam hat er seine Probleme, denn Allah sei groß und gut, aber die Menschen machten aus dem Islam nur Schlechtes. Nun fühlt sich Achmed angegriffen und ich verfolge das Gespräch mit möglichst wenig eigener Mimik und Gestik. Ich müsste in diesem Gespräch sonst dem Händler beipflichten. Ich selbst bin resigniert von der Macht, die diese Religion auf die Menschen (für mich negativ) ausübt. Schon Marco hat mich auf dem Schiff nach Alexandria gewarnt, dass alle in Ägypten den Koran lesen, aber sonst kein Buch in die Hand nehmen. Dazu die Dauerberieselung aus Kassetten und Moscheen, die Herrschaft des Patriachats. Unzählige Ressourcen die nicht abgerufen werden, weil die Frauen nicht arbeiten dürfen oder nur als Hilfskraft für die Männer. Beispiel: In jedem Reisebüro Ägyptens sitzen mindestens zwei Männer die nichts tun und wahrscheinlich auch nichts können, dazu eine Frau welche die Arbeit macht. Über die schwarzen Vetteln in ihrem Ganzkörperkondom möchte ich mich gar nicht auslassen. Aber hätte Allah gewollt, dass der Mensch vermummt auf die Welt kommt, nicht lacht und den ganzen Tag nur rumsitzt – er hätte ihn anders beschaffen.
Liebe Gläubige des wahren Glaubens – ich bin zu jeder „ernsthaften“ Diskussion bereit, wenn dazu Logik und Menschenverstand erlaubt sind. Bitte nun kein Beifall von falscher Seite, denn die Schriftgelehrten meiner Religion sind oft und ebenfalls gegen beides immun.
Die Fahrt geht weiter. Unzählige gefühlte Stunden bis es endlich 11:00 Uhr ist und der Hafen von Wadi Halfa in Sicht. Ich sehe ihn nicht persönlich, aber das Gedränge an Bord nimmt wieder zu und die ersten Gepäckstücke von draußen werden in die überfüllt Kabine geschleppt. Die Menschen sind ungeduldig, ich noch nicht. Es kommt wieder zu einer Rauferei. Diesmal haben die fünf Halbstarken einen Schwarzen beleidigt, der zurückschlägt. Es nützt ihm nichts und er landet direkt neben mir auf meiner Bank. Ich flüchte, nicht jedoch ohne vorher mein Pfefferspray in die Hosentasche zu stecken. Ich gehe an Oberdeck, warte das Flötenpfeiffen und das Ende des Kampfes nicht mehr ab. Oben brütet die Sonne, der Hafen ist weiter wie erwartet und ich entscheide mich doch wieder für den Gang nach unten. Es ist wieder Ruhe, aber nun sind alle etwas gereizt. Sie wollen alle von dem Schiff runter.
Endlich sind wir da, der Kapitän scheint jedoch noch nicht lange sein Patent zu haben und braucht fast dreißig weitere Minuten bis der Kutter angedockt wird. Endlich im Hafen, doch nichts passiert. Ich habe mir den Rucksack umgeschnallt, stehe mit vielen anderen in den überfüllten Gängen, aber die Tür geht nicht auf. Irgendwann dann doch, aber wieder ist kein Austreten möglich. Es werden Namen verlesen und diese Menschen drängen nun von hinten nach vorne. Sie werden rausgelassen. Endlich kommt für die anderen auch das Zeichen. Ich dränge mich nach vorne, werde geschubst, böse angeschaut und bin fast draußen – aber zu früh gefreut. Mir fehlen mal wieder ein Zettel und ein Stempel. Ich werde von einem Polizisten zurück gestoßen und in die erste Klasse der Fähre gezerrt. Hier warten die anderen Europäer und Chinesen und stehen um einen Tisch herum, wo es die ersehnten Papiere gibt. Nun drehe ich wirklich fast durch. Werde laut, schimpfe über dieses Mickey Mouse Gehabe, denn gestern Nacht noch, habe ich mir auf dem Schiff alle Stempel besorgt und mich beim Personal versichert, dass ich nichts mehr bräuchte. Falsch versichert, wie sich hier heraus stellt. Ob es an der Nacht liegt, an den fünf Radaubrüdern – ich weiß es nicht und heute tut es mir auch schon wieder leid – aber ich bin am Limit und nicht mehr zum Spaßen bereit. Ein freundlicher Sudanese mit Khakiuniform tritt auf mich zu, lächelt mich, den Tobenden an und schafft es tatsächlich mit seiner ruhigen Art: Ich komme wieder runter. Muss jetzt selber wieder lachen. Ich resigniere, setze mich hin und fülle zum tausensten Male einen Zettel aus, trage meine Passnummer ein, dass ich Tourist bin und dieses wunderschöne Land bereisen möchte.
Ich rede mit dem netten Uniformierten und er stellt sich als Mr. Mazaa vor, der ein Reisebüro in Wadi Halfa hat und „seine“ Gruppe nun von der Fähre holen möchte. Ich frage ihn, ob er mir auch einen Bus und ein Hotelzimmer hier in Wadi Halfa besorgen kann und er nimmt mich gerne mit. Ich erhalte meine Papiere und darf endlich von Bord, wieder durch das Gedränge, doch dann bin ich tatsächlich draußen. Stehe an Land und geselle mich zu den Chinesen und Europäern hin und warte brav auf Mr. Mazaa. Er ist ein Original. Superfreundlich, hilfsbereit und unbestechlich. Wir müssen durch den Zoll und werden von einem sehr freundlichen Soldaten durchsucht, dann fahren wir zum Hotel. Mr. Mazaa will mir später den Bus nach Karthum noch zeigen und als ich ihm ein Trinkgeld für seine Bemühungen geben will, lehnt er ab. Er wüsste nicht wofür.
Ich checke mit den anderen in dem Hotel ein und bekomme ein Zimmer mit den drei Polen zusammen. Die Toilette ist zeitgleich die Dusche und beides ist draußen auf der Etage zu erreichen. Naja – für heute Nacht wird es dies tun. Ich schlendere kurz durch die staubigen Straßen des Grenzstädtchens, kaufe mir zwei eiskalte Cola und gehe wieder in die Unterkunft, um mich mit den anderen zum Abendessen zu verabreden.
Gegen 19:00 Uhr brechen wir auf, finden das empfohlene Restaurant von Mr. Mazaa und essen Fisch, Lamm, Brot und Gemüse das herzhaft in einer Fleischsauce schwimmt. Dazu trinken wir Cola und Wasser und ich merke wie müde ich nun bin. Die Atmosphäre in dem Örtchen ist schön, das Leben spielt sich draußen ab. Der Sand, die Lichter, die Stimmung, mir gefällt mein erster Eindruck vom Sudan. Ich bezahle umgerechnet etwa 3 Euro und möchte nun schlafen gehen, doch da kommt Mr. Mazaa wieder und will mich abholen, um mir den Busbahnhof und den Bus zu zeigen, damit ich morgen keinen Fehler mache. Wir kaufen das Ticket, dann läuft er mit mir zurück zum Hotel und verabschiedet mich freundlich. Er will wieder keine Aufwandsentschädigung annehmen und ich bedanke mich herzlich, bei diesem hilfreichen Menschen. Vor dem Schlafen möchte ich noch duschen, andere leider auch. So warte ich noch etwa zwanzig Minuten, rede mit den mir liebgewonnen Mitreisenden, gehe duschen, richte das Gepäck, lege meine Matratze vom weichen Bettgestell auf den Boden und schlafe nach einem harten Tag endlich ein.