Auf dem Berg Sinai am 19 Oktober 2010
Ich schlafe schlecht in dieser Nacht, liege in meiner Hütte auf dem Berg des Moses auf dem Boden und wechsele mehrmals meine Kleidung, weil es mir mal zu kalt und mal zu warm ist. Irgendwann muss ich auf die Toilette und Mahmut, mein Herbergswirt der ebenfalls in dem Raum schläft brummelt ärgerlich vor sich hin, weil es mir nicht gelingt die Tür zu öffnen und ich ihn wecke. Ich schlafe bis etwa drei Uhr weiter, dann kommt Leben in die Verkaufsbude, Mahmut zündet die Petroleumlampe an und fängt an Tee zu kochen.
Die ersten Taschenlampen erklimmen die Stufen und das bedeutet für die Beduinen, dass die Arbeitszeit beginnt. Eine Gruppe orthodoxer Russen macht den Anfang. Etwa dreißig Personen steuern mit ihrem Guide einen der Kioske an, gehen ins Innere und werden mit Tee, Kaffee und Wasser versorgt. Alles kostet hier 10 Pound, etwa das fünffache dessen, was man in Kairo dafür bezahlt. Doch ich finde dies hier oben in Ordnung, weiß ich doch um die Strecke, die diese Sachen zurücklegen bis sie verkauft werden. Weitere Gruppen kommen inmitten der Nacht und es ist noch nicht vier Uhr, als sich der erste Menschenstau bildet, auf den letzten Stufen zum Gipfel. Eine Prozession der Kopfleuchten und Taschenlampen. Russen, Amerikaner, Israelis, Japaner, Europäer – Menschen aus allen Länder sind hier vertreten. Ich habe Zeit, sitze mit meinem Kaffee vor Mahmuts Hütte und betrachte fasziniert das Treiben. Man hat mir zwar von diesem Menschenauflauf zum Sonnenaufgang berichtet, doch hatte ich bei Weitem nicht mit so einer Demonstration gerechnet. Ich schätze die Zahl auf irgendwo bei 500 Menschen aber es können auch wesentlich mehr gewesen sein an diesem Morgen. Selbst als wir später den Abstieg angehen, folgen weitere Gruppen und Menschen die Stufen zum Gipfel empor, diejenigen die sich in der Zeit verschätzt haben und jene die mittlerweile gestützt werden müssen. Auch meine eigene Leistung vom Vortag relativiert sich bei diesem Anblick. Kinder und Alte, Dicke und Magere, Kranke und Behinderte – sie alle erklimmen die unbarmherzigen Stufen hinauf, um den Sonnenaufgang zu sehen, zu beten oder um Heilung zu erbitten. Ich bleibe bei meiner Hütte und schenke mir den Sonnenaufgang auf dem Gipfel, genieße stattdessen das Treiben und die Stimmung hier.
Irgendwann trifft Mohammed, mein Guide vom Vortag mit seiner Gruppe ein. Sie kommen aus Scharm el Scheich und wollen auf den Gipfel, der mittlerweile von Menschen überfüllt ist. Mohammed bleibt bei mir und wir trinken einen Tee zusammen. Nach etwa 30 Minuten beginnt der Sonnenaufgang und die ersten Besucher wandern wieder ins Tal hinab. Auch unsere Gruppe ist eine der ersten. Ich genieße den Marsch, habe die Last des Gepäckes im Griff und auch die Sonne zeigt noch Erbarmen. Sie scheint angenehm warm auf unserem Weg in das Tal. Ich blicke mich um und sehe eine Menschenschlange hinter mir und vor mir, den Berg hinab steigen. Ich denke, so muss ein Exodus aussehen. Der Anblick bietet mir in dieser harmlosen Form ein erhabenes Gefühl. Einige reiten auf Kamelen an uns vorbei, die meisten laufen jedoch. Nach fast zwei Stunden erreichen wir das legendäre Katharienkloster mit seinen dicken Mauern und ich lege mich bei einem Felsen in den Schatten. Das Kloster gleicht einer Festung und ich sehe in Gedanken die Tempelritter das Kloster beschützen, während Horden von Sarazenen gegen die Wälle anrennen. Ich überlege mir Strategien wie ich das Kloster einnehmen könnte, doch es will mir keine Plausible einfallen, ohne den Einsatz einer Luftwaffe oder schwerem Geschütz. Mohammed fragt mich, ob ich denn das Kloster nicht besuchen möchte und ich lehne ab. Mein Budget für diesen Trip ist dem Abenteuer zwar angemessen, doch es übersteigt meine vorgenommen Ausgaben und ich möchte nun auf weitere Kosten verzichten. Er erklärt mir, dass der Eintritt kostenlos sei, was ich als Übersetzungsfehler sehe, denn was in Ägypten „gratis“ angeboten wird, zieht meist einen großen Bakisch nach sich. Die Gruppe hat noch einen anderen Besichtigungstermin und ich warte eine Stunde, bis mich Mohammed aus meinem Schatten wieder abholt. Ich habe die Festung in dieser Zeit nicht eingenommen – als Ritter in Gedanken. Vor dem Kloster sind nun Unmengen an Menschen, es ist gleich 09:00 Uhr und dann werden die Tore für Besucher aufgeschlossen.
Ich erlebe eine Überraschung, denn das Kloster ist wirklich kostenlos zu betreten, lediglich an einem Verkaufsstand wird versucht Umsatz zu machen. Der Rundgang ist kurz, nur etwa 20 Prozent der Anlage sind für Besichtigungen freigegeben, im Rest wird das Leben eines Klosters fortgeführt. Ich mache ein paar Fotos und gehe wieder, denn zum Beten oder Verweilen sind die Massen zu groß, das Kloster hat so keine gute Atmosphäre. Mohammed erwartet mich vor dem Gebäude und bringt mich zum Busbahnhof, wartet an einem Tisch mit mir, bis er mich dem Fahrer nach Dahab übergeben kann. Ich bedanke mich bei diesem wertvollen Menschen, diesem Guide – bei dem ich mich in guten Händen gefühlt habe. Schokram – Mohammed.
Der Kleinbus fährt mich zurück nach Dahab und lädt mich vor dem Bishbishi ab. Ich bin verschwitzt, hungrig und todmüde. Ich scherze mit den Boys, die sich freuen mich zu sehen und ich fühle mich ein bisschen „heimkommen“. Nach Dusche und Schlaf treffe ich wieder auf meine Berliner, die den letzten Abend in Dahab verbringen. Sie wollen morgen nach Kairo zurück. Ich arbeite ein bisschen an meinem Weblog, dann gehen wir zusammen etwas schlendern in den Straßen, legen uns an einen Strand zu ein paar Bier und plaudern angenehm über Gott, Ägypten und die Welt. Ein letztes Getränk im Bishbishi, dann verabschieden wir uns für diesen Abend, es ist fast 23:00 Uhr. Ich schaue noch einmal, ob ich Emails erhalten habe, dann knurrt mir der Magen. Ich habe den ganzen Tag kaum etwas gegessen, weil ich dies mit längeren Sitzungen abgelten muss. Vor der Hotelanlage erstehe ich auf der Straße eine Pizza, sie schmeckt mir, dann gehe ich zurück in das Bisbishi und lege mich schlafen.
Nachtrag: Das Wasser aus der heiligen Quelle am Belchen habe ich nicht benutzt, um ein paar Tropfen auf dem Mosesberg zu träufeln. Ich hielt dies nicht für angemessen. Stattdessen habe ich einen kleinen Stein eingepackt, den ich ebenfalls in Oldupai symbolisch niederlegen möchte.