am 09.11.2010
Ich erwache heute Morgen um 02:00 Uhr in meinen 4 Sternen Hotel in Addis und kann nicht mehr einschlafen. Noch zwei Stunden bis zum Weckdienst des Hotels, den ich mir gestern erbeten habe. Ich kann nicht mehr einschlafen und bekomme stattdessen, einen Film der besonderen Art in meinem Kopf geboten. Meine Gedanken gehen wild durcheinander und ich habe das Gefühl, hier gerade alles zu vermasseln. Eine innere Stimme schimpft mit mir; was ich mir denn gedacht habe, auf was ich mich denn einlasse? Ein bisschen Nobelpilgern und dazu schlaue Sätze auf den Blog? Ob ich denn so sicher sei, dass ich die letzten 3.500 Kilometer auf einer Arschbacke runterrutsche und dann mal schön zu meiner Familie heim fliege? Was habe ich nicht vor dieser Reise alles gewollt, alles Gott und mir versprochen? Bilder tauchen auf, von der heutigen, bevorstehenden Busfahrt – Bilder einer unglücklichen Fahrt – einer tödlichen Fahrt. Und wieder lesen mir meine Gedanken die Leviten vor. Ich kann nun darüber schreiben, heute Nacht war ich lediglich über diese Gedanken entsetzt. Zu real schienen mir diese „Begegnungen“ in dem Hotelzimmer. Ist dies nun der Zauber Afrikas, sind es meine „Götter“ oder ist es lediglich ein Albtraum im Wachzustand? Sorry, dass ich diese zwei Stunden besonders hervorhebe, aber sie haben mir massiv zugesetzt.
Einen Höhepunkt dieser „mystischen Show“ erlebe ich in der Dusche meines Hotelzimmers. Es kommt lange Zeit kaltes Wasser und als ich mich ziere unter das kühle Nass zu steigen, schreit mich die Stimme in meinem Kopf wieder an, was denn dies solle? Mahnt mich, dass kaltes Wasser noch das Angenehmste sei, was ich zu erwarten hätte. Ich steige unter die kalte Dusche. Ich wasche mich wie unter Schock, dann kommt wie zur Versöhnung plötzlich warmes und heißes Wasser. Nun fröstelt mich erst recht. Ich habe Angst vor der weiteren Reise. Nur langsam beruhige ich mich wieder und als der Weckdienst endlich klingelt, habe ich mich wieder „im Griff“ und gehe nach dem Frühstück zu meinem wartenden Fahrer. Es ist 04:45 Uhr, lokaler Zeit.
Mein sympathischer Taxifahrer fährt mich an den Busbahnhof, zeigt mir den Eingang und meint, ich solle meinen Bus suchen. Umsonst war das hohe Trinkgeld, ich muss den Bus alleine finden, er darf nicht mit rein. Es ist dunkel, hinter der Sperre stehen etwa 80 Busse und keiner hat die Nummer, die auf meinem Ticket steht. Einige englischsprachige Menschen erklären mir, dass ich warten solle. Irgendwann glaube ich dies, suche dennoch immer wieder nach meinem Bus, denn gegen 06:00 Uhr sollte er fahren. Eine Stunde später kommen tatsächlich neue Busse und ich erfahre, dass mein Bus, meine Nummer heute gar nicht mehr kommt. Wahrscheinlich ein Schaden, ein Unfall oder andere Gründe zwingen meine Nummer 4033, heute nicht zu fahren. In einem Büro erhalte ich mein Geld zurück und ich könnte heulen, bei dem Gedanken hier nun festzusitzen. Ein freundlicher Schwarzer mit seinen Freunden hat dasselbe Problem. Er zieht mich an den nächsten Ticketschalter, kauft mir ein neues Ticket und zerrt mich zu einem Bus, der die Fahrt in den Süden übernehmen wird. Ich freunde mich mit diesen Menschen an, habe ich sie doch durch diese Leute wieder erfahren – die Menschenhilfe auf meinem Menschenweg. Ich steige in meinen Bus, eines dieser „bunten Vehikel“. Der Bus ist voll und ich sitze zu meinen neuen Freunden. Gegen 08:00 Uhr fahren wir los, ich bin der einzige Ausländer in dieser Reisegemeinde und ich bin froh um meine hilfsbereiten Begleiter, fühle mich wohl und sicher. Wenn nur die Bilder der Nacht nicht wären.
Wir werden heute lediglich etwa 350 Kilometer in Richtung Moyale schaffen. Der Bus fährt so schnell er kann, aber das Leben auf den Straßen Äthiopiens, sowie die Qualität der Straßen an sich, lassen kein schnelleres Weiterkommen zu. Ich trinke wieder kaum etwas und esse nichts, versuche somit jeden unnötigen Toilettengang aufzusparen. Ich schlafe ein paar Stunden in dem engen Bus und betrachte ansonsten die schöne Landschaft Äthiopiens. War das Land im Norden noch durch andere Landschaften geprägt, weniger Wald, mehr Steppe – so sehe ich nun, das Afrika aus meinen Vorstellungen. Palmen, dichte Wälder, Bäche und Flüsse – hier an der Straße hinter den Häusern ist der Dschungel. Ein unglaublich schöner Anblick begleitet mich einen großen Teil der Strecke. Ich sehe große, mir unbekannte Greifvögel, andere bunte Vögel und ich betrachte durch die Scheiben, die mir inzwischen vertrauten Esel, Ziegen und Kühe. Auch auf diesem Teilabschnitt Äthiopiens sehe ich neue Bauwerke aus Holz, Palmenblätter und Steinen, die signalisieren dass die Menschen in diesem Land mehr erreichen möchten und dies selbst in die Hand nehmen. Leider ist auch dieser Anblick, wie auf meiner ganzen Reise bisher, durch bunten Müll versaut, der überall in Massen herumliegt.
Im Bus habe ich noch mehr Freunde gewonnen, denn bei jedem Halt des Busses rufe ich laut; „Moyale? Moyale?“ und die liebenswürdigen Menschen in diesem Bus, trösten mich und erklären mir, dass es noch eine weite Reise sei bis zu meinem Ziel. Irgendwann merken sie, dass ich mir einen Scherz erlaube, nun habe ich ganz ihre Sympathien. Wir fahren, halten für eine Rast, Menschen steigen aus, andere steigen ein und gegen 16:00 Uhr erreichen wir Dilla, das für heute unser Etappenziel sein wird.
Hier folge ich meinem neuen Freund und seiner Familie zu einem Hotel. Sie kommen aus Somalia, haben ihr ganzes Geld zusammengelegt und fahren nun nach Nairobi, um dort ein besseres Leben zu beginnen. Sie fragen mich wie sie es schaffen könnten, um nach Europa zu gelangen. Mir fällt kein besserer Rat ein, als sich mit einer Deutschen zu verheiraten. Ich stimme ihnen zu, dass es irgendwann möglich sein muss, in einer Welt ohne Grenzen zu leben. Dies würde der Beginn einer neuen Menschheit bedeuten. Ich glaube nicht, dass dies ohne Ärger abgehen wird, aber es ist in einer globalen Welt unabdinglich und die Voraussetzung für eine gemeinsame Zukunft. Eine anderes Thema kommt mir dabei in den Sinn: Die Entwicklungshilfe. Habe ich vor meiner Afrikareise diese Hilfe begrüßt oder hatte im besten Fall keine Meinung, so bin ich nun, nach meinen Eindrücken, ein großer Gegner dieser Almosen. Einerseits, weil wir den Chinesen aus Europa noch Entwicklungsgelder zugestehen und ich hier erlebe, wie sie den afrikanischen Markt aufmischen. Andererseits und hauptsächlich, weil ich sehe zu was die Menschen hier und auch in Ägypten und im Sudan fähig sind. Die Menschen bräuchten freie Handelsmärkte, Technologie und Informationen, die Almosen aus der Ersten Welt hindern sie nur in ihrer Selbstverwirklichung, so ist mein Eindruck in diesen Tagen. Ich sehe Armut, Krüppel und Behinderte um Geld betteln. Menschen die für wenig Geld, Schuhe putzen, Kaugummis verkaufen oder Müll sammeln … auch hier hat die Armut ihre Helden. Menschen die nicht betteln, obwohl sie mit ihrer Arbeit wahrscheinlich weniger verdienen. Nach meinen Erlebnissen in Gonder bin ich nun etwas freudiger beim Geben. Mein Gewissen beruhigt es jedoch nicht.
In Dilla beziehe ich ein Hotelzimmer für 1,25 Dollar. Es hat eine Dusche und ein Waschbecken, die ich garantiert beide nicht benutzen werde und ein Bett was ich vielleicht verwende. Ich werde nach diesem Beitrag in meinen Kleidern schlafen, denn meine blanke Haut auf irgendeinem Quadratzentimeter in dieses Zimmer legen, möchte ich nicht. Ich esse mit meinen somalischen Freunden vor dem Hotel auf dem Boden, es gibt Brot und Hackfleisch vom Lamm. Ich täusche eine Magenverstimmung vor, esse stattdessen eine Banane und gehe noch etwas in dem Bergstädtchen schlendern, trinke an einer Bar ein Bier. Wenn wieder alles nach Plan läuft. dann weckt mich Asym, mein neuer Freund in der Frühe, damit ich den Bus nicht verschlafe. Ich fühle mich heute Nacht noch einmal als Soldat, weil ich in Klamotten schlafe. Ansonsten waren der Tag und meine Metamorphose zurück zu einem Pilger vielversprechend. Ich nehme wieder Menschen war und versuche die Eindrücke der Reise aufzunehmen. Es geht mir besser – danke Äthiopien, ich komme wieder runter – das ist Dein Verdienst.