Assuan – 25.10.2010

Ich muss heute mal wieder früh raus, meine Reise geht, so hoffe ich, weiter.

Der Weckdienst klingelt mich kurz vor 7:00Uhr aus meinen Träumen. Ich frühstücke nur ein Marmeladebrot, dazu einen Kaffee, dann packe ich mein Gepäck für die Reise und räume das Zimmer. Ich soll gegen 09:00 Uhr am Hafen sein, um eventuell noch ein Ticket für die schon volle Fähre zu ergattern. Die gestrige Reise steckt mir noch ein bisschen in den Gliedern, aber ich würde gerne weiterziehen und auf dieser Fähre in den Sudan reisen. Ich nehme mir ein Taxi, das mich für 40 Pound an den Hafen fährt und ich bin gut in der Zeit. Eine halbe Stunde früher als ausgemacht, stehe ich am Hafen vor dem Tor zur Fähre. Mit mir hunderte anderer Menschen auch.

Ein Auflauf aus Farbigen und Schwarzen, dazu jede Art von Koffer und Gepäck, Kinder und Alte stehen an der Pforte und an den Häuschen herum. Mr. Salaeh, so nennen sie alle den mächtigen Ticketverkäufer aus Assuan, hat mir gestern versichert, dass er mich suchen und finden wird, also setze ich mich vor dem Tor in den Schatten und warte.

Ich beobachte das Treiben, die Wartenden und die Polizisten, die zusammen versuchen eine Reihe zu bilden. Es geht laut her und die Polizisten genießen sichtlich ihre Macht. Männer und Frauen werden herumgeschubst, angeschrien und in eine Reihe gestellt, nur um aus dieser wieder auszubrechen, in der Hoffnung auf zwanzig Meter Fußgewinn. Dies natürlich jeweils mit mindestens drei Koffern, vier großen Kartons, Tüten und sonstigem Gepäck. Es nützt den Wenigsten, denn die Polizisten schreien wieder, schubsen und stellen neue Ordnung her.

Im Hafen von Assuan

Anstehen für die Fähre in den Sudan

Ich beobachte einen dicken Polizisten, der neben dem Tor auf einem Sofa sitzt und der wahrscheinlich der Oberaufseher des ganzen Treibens ist. Er tut nichts, thront da in seinem Schatten und schüchtert mit diesem Gehabe jedoch alle Menschen ein. Warum bekomme ich jetzt das grauenhafte Bild einer Deportation in meine Gedanken?

Ich suche nach Mr. Salaeh, es ist bereits weit nach neun Uhr und ich werde von ihm nicht gefunden. Auch hat mich mittlerweile ein Polizist aus dem Schatten verscheucht, denn die Menschenschlange hat mich irgendwann umschlossen und ich muss mit den anderen weichen. Ich denke, ich versuche es nun beim Oberaufseher und stelle mich dumm, das hilft meistens und ich erhalte mit dieser Masche oft wichtige Auskünfte. Hier ist es anders. Ich komme zu “Eurer Eminenz“ erst gar nicht durch, werde abgefangen und brüsk verscheucht. Meine Versuche etwas zu sagen, enden mit der Entgegnung: „No English – go away.“

Ich überlege, ob und wie ich reagieren soll, da hilft mir ein netter Schwarzer und zeigt mir das Häuschen wo die Tickets verkauft werden. „Aha – das hätte ich mir ja denken können“ Ich schimpfe mich selbst einen Idioten und stelle mich in der Schlange für Männer an. Vor mir sind 15 Personen und es dauert eine Ewigkeit, bis ich an die Reihe komme. In der Zwischenzeit erlebe ich eine Überraschung, denn Willem, mit dem ich eigentlich diese Tour unternehmen wollte, kommt ebenfalls an den Schalter, entdeckt mich und begrüßt mich herzlich. Ich möchte vor Scham in den Erdboden versinken, denn natürlich habe ich ihm gestern keine Mail mehr geschrieben und ihn informiert, dass ich alleine weiterziehen werde. Ich kläre ihn auf und obwohl er von dieser Planänderung nicht wirklich begeistert ist, wünscht er mir Glück bei meinem Versuch ein Ticket zu erstehen. Ich komme endlich an die Reihe, doch die Frau am Schalter beachtet mich nicht. Ich habe zugesehen wie die anderen hier vorgehen und strecke meinen Reisepass mit dem Geld (ein bisschen mehr – falls es hilfreich ist) durch das Fenster. Die Frau jedoch nimmt andere Pässe entgegen und anderes Geld und würdigt mich keines Blickes. Nun postiere ich mich direkt vor sie hin, sodass sie keine andere Möglichkeit mehr hat, als sich mit mir abzugeben. Sie meint, ich solle zu Mr. Salaeh gehen. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder schreien soll. Ja wo denn dieser ominöse Mr. Salaeh sei? Sie zeigt auf einen Platz neben sich, doch ich muss erst um das Häuschen herum zu einem Seitenfenster und endlich sehe ich meinen Mann. Meine letzte Chance auf ein Ticket für Heute. Hatte ich gestern das Gefühl, dass Mr. Salaeh barsch und unfreundlich sei, werde ich nun eines Besseren belehrt. Er erkennt mich und dann geht alles sehr schnell. Ich bekomme mein Ticket, dann geht er mit mir zu Willelm und Mariet an deren Jeep und macht mit ihnen ebenfalls in freundlichsten Tönen einen Termin für den morgigen Tag aus, damit sie ihr Ticket für den 8 November erhalten. Ich habe es geschafft. Ich fahre heute in den Sudan. Ich rede noch ein bisschen mit Mariet und Willem, dann verabschiede ich mich und trete mit meiner Bordingcard, vorbei an dem sitzenden „Hochwohlgeboren“ und den Polizisten durch das Tor in den Hafen.

Von hier bis zu der Fähre ist es ein weiter Weg. Weniger im geographisch Sinne, aber es gibt viele Hürden zu überwinden. Eine Pass und Ticketkontrolle folgt nach der anderen, dann wird mein Gepäck abgetastet –ich muss mein Taschenmesser abgeben – dann soll ich wieder ein Formular ausfüllen, nun brauche ich eine Briefmarke, wieder ein Stempel und endlich bin ich aus dem Verwaltungsgängen draußen – Fast jedenfalls. In einem kleinen Häuschen kurz vor der Fähre muss ich dann doch noch einmal mein Ticket und den Reisepass vorzeigen, das war es dann aber auch. Stolz betrachte ich gegen 11:00 Uhr das Schiff, das mich von Assuan in Ägypten in den Sudan bringen soll. Ich genieße den Ausblick auf den Nassersee, schwitze unter der brütenden Sonne und betrete dann meine Fähre, die schon von außen wie einer jener Seelenverkäufer aussieht, die man aus Reisebüchern von den verschiedenen Enden der Welt kennt. Ich zeige wieder meinen Pass und das Ticket vor, dann werde ich auf dem Schiff nach rechts in einen Raum gelotst und aufgefordert mich irgendwohin zu setzen. Der Raum ist gefüllt mit Männern, Koffern und Gepäck. Etwa 30 längere Sitzbänke warten auf Fahrgäste, doch überall liegt Gepäck auf den Bänken, wo noch Platz ist sitzen oder liegen Leute. Ich schaue mir die Szene wohl zu lange an, ein Strom von Menschen will auf dem schmalen Gang an mir vorbei und schubst mich auf ein kleines freies Eckchen. Ich lasse es geschehen, wenigstens hat nun mein halber Hintern einen Platz gefunden. Die Männer gegenüber mir, Achmed aus Guinea und ein Sudanese, der sich mir ebenfalls vorstellt wirken vertrauenswürdig und ich beschließe meinen Platz zu behalten. Der Rucksack scheint hier sicher.

An Bord der Fähre

Pilger an Bord der Fähre

Wir machen uns bekannt, dann plaudern wir ein Stündchen, woher wir kommen und wohin wir gehen. Immer noch kommen Menschen und Gepäck durch die Gänge und ich riskiere einen ersten Blick auf das Oberdeck, werde aber von der Mittagssonne bald wieder verscheucht. Meine Gemeinschaftskabine ist zwar überfüllt, dafür ist sie kühl und liegt neben der Kombüse, wo man Essen und Trinken kaufen kann. Ich schwatze, beobachte und warte. Irgendwann wird die Fähre ja wohl ablegen, sie scheint mir langsam voll. Ich erfahre jedoch von meinen Begleitern, dass die Fähre frühestens gegen 18:30 Uhr ausläuft. Ich bin geschockt, dies wäre in sechseinhalb Stunden. Ich suche nach Europäern auf dem Schiff, finde jedoch lediglich sechs Chinesen, von denen 3 an Oberdeck sind und drei mit mir in dem Raum im Unterdeck sitzen. Im Hafen habe ich Europäer gesehen, mit Autos und Motorräder – wo sind die jetzt? Ich sitze ungemütlich und auf engem Raum, der Trubel und das Beladen überall hält mich von weiteren Exkursionen auf dem Schiff ab. Ich beschließe, auf keinen Fall die Überfahrt an Oberdeck zu verbringen. Nachts würde es mir ja gefallen, aber in der Sonne scheint mir diese Platzwahl töricht. Ich soll Recht behalten. Dafür sitze ich auf engem Raum und spüre meinen Hintern. Überall ist es laut und geschäftig und plötzlich sehe ich, wie ein Schwarzer mit einem Chinesen, eine Bank weiter, einen Streit anfängt. Es geht um Platzgewinn und es kommt zu einer Rangelei, die kurz vor Ernsterem steht. Andere mischen sich ein, ich rufe ebenfalls laut „Hey“, dann ertönt eine Pfeife die Ordnungskräfte herbeiholt und langsam kommt wieder Ruhe in das Unterdeck. Zwischen dem Schwarzen und dem Chinesen herrscht nun ein Burgfriede. Ich beobachte den Schwarzen etwas genauer und deute ihn zu einer Gruppe Halbstarker vor denen ich mich in Acht nehmen werde.

Irgendwann ist es tatsächlich 18:30 Uhr und die Fähre legt pünktlich ab. Auch die Europäer haben sich mittlerweile eingefunden und haben sich geschlossen an Oberdeck gesammelt, direkt neben der Kapitänsbrücke. Wegen ihrer Fahrzeuge wurden sie länger im Ägyptischen Verwaltungsapparat aufgehalten. Nun haben sie ein Sonnensegel an ihrem Platz aufgespannt, die Räumanweisung des Bordpersonals ignoriert und ich erlaube mir einen Spaß, trete autoritär auf sie zu, frage in Englisch ob alles in Ordnung sei und spiele den Kontrolleur. „Tickets and passport please“. Tatsächlich holen einige staunend ihre Dokumente hervor, ehe ich die Situation mit einem Lächeln auflöse. Ich mache mich mit allen bekannt, schwatze ein bisschen und unterhalte mich etwas länger mit Martin, den ich ja schon kenne. Es sind Polen, Iren, Engländer und Deutsche, die alle in den Sudan wollen, um etwas herumzureisen und dann nach Äthiopien weiterziehen möchten. Ich finde sie alle sympathisch, nur das Gemeinschaftsbild welches die Gruppe abgibt stört mich. So muss es Thilo Sarrazin gemeint haben, als er von gelungener Immigration gesprochen hat. – Die Weißen unter sich beim Kapitän und die Schwarzen auf dem Rest des Schiffes.

Ich kann es dieser Gruppe nicht übelnehmen, denn ich wäre gerne bei ihnen, aber ich denke wieder an Sarrazins Thesen und an all die Deutschen Manager in ihren Country Clubs, mit Chauffeur und Hausdame, an meine Erfahrungen auf Mallorca, wo die Deutschen, Engländer und Holländer, nach Jahren auf der Insel, bestenfalls eine Spanische Wirtefamilie kannten und ansonsten unter sich blieben. Ich lächle bei dem Gedanken, wie sich Sarrazin eines Tages vornimmt, sich mal richtig zu immigrieren. Wahrscheinlich wird er bei seinem „lokalen“ Partner Essen gehen, etwas Sisha rauchen, die heimische Toilette benutzen und sich davon drei Wochen nicht mehr erholen. Ja, gelungene Immigration ist eine Selbstverständlichkeit, wenn sie einen nicht selbst betrifft.

Wieder zurück auf das Schiff. Ich sitze unter Deck, mein Hintern schmerzt, mir ist todlangweilig und nun folgt das nächste Gerangel. Die gleiche Gruppe Schwarzer hat sich dieses Mal einen größeren Gegner ausgesucht, ein Schwarzer, groß und muskulös, wird angesprochen, dann wahrscheinlich beleidigt und wieder gibt es eine Rangelei. Ebenfalls Tumult, das Pfeifen, ich bleibe still, senke meinen Blick und warte bis sich alles wieder gelegt hat. Die Chinesen sind nun verschwunden, ich bin der letzte Weiße unter Deck und wahrscheinlich sehr bleich im Gesicht. Die Gruppe will Ärger, die fünf Männer legen es darauf an. Sie rauchen, obwohl hier unten Rauchverbot ist und ihre Posen drücken Übermut, Respektlosigkeit und leider auch Skrupellosigkeit aus. Bisher blieb es bei Rangeleien, doch ich rechne mit einer Fortsetzung. Überall sind die Menschen gereizt, doch es bleibt überall freundlich, fast schon unerklärlich ruhig. Mit Ausnahme dieser fünf Rindviecher. Ich bin hier als Ausländer auffällig, werde oft freundlich angesprochen, bekomme Kekse, Tee, Kuchen und Obst angeboten und werde in viele Gespräche verwickelt. Ich fühle mich von den Menschen umsorgt, die Zeit vergeht und nur mein Hintern ist mit dieser Gesamtsituation nicht zufrieden. Achmed, mein Sitznachbar aus Guinea, möchte in Karthum auf eine Islamschule, ist zweiundzwanzig Jahre alt und will mit mir über Gott reden. Das kann er haben. Leider ist die Kommunikation schwierig, da er kein Englisch kann, wir uns auf Französisch unterhalten und da habe ich meine offensichtlichen Schwächen. Ich verwirre ihn wieder damit, dass ich bekenne zu dem Gott Ibrahims zu beten, den Propheten Mohammed jedoch nicht wirklich  kenne und ich meinen Propheten in Jesus habe. Gar nicht verstehen kann er, warum ich nach Tansania pilgere. Es sind trotz allem sehr angenehme Gespräche mit ihm, er schenkt mir ein Islambuch auf Französisch für meine Schwiegermutter Marlies (sie hat den Koran gelesen und kann auch gut französisch), wir tauschen Emailadressen aus und ich freunde mich ein bisschen mit ihm an. Ein weiterer Reisebegleiter wird der ebenfalls sympathische Sudanese, dessen Namen ich allerdings vergessen habe. Er spricht leidig Englisch und übersetzt zwischen Achmed und mir, wenn wir gar nicht mehr weiter wissen.

Impression auf der Fähre

Fähre nach Wadi Halfa

Die Fähre fährt, die Sonne geht unter und es wird Nacht. Hin und wieder verlasse ich meinen Sitz, um über das Deck zu spazieren, es gleicht einem Hürdenlauf. Dann spreche ich mit anderen Passagieren, genieße den Fahrtwind oder suche die Gruppe Europäer im Bug auf. Der Kapitän hat sich etwas durchgesetzt und der Platz der Gruppe ist um einige Meter geschrumpft. Ich hatte Glück bei meiner Platzwahl. Irgendwann bin ich müde, gehe unter Deck, räume mit meinen Reisegefährten das Gepäck etwas zusammen und habe nun eineinhalb Plätze für die Nacht. Wir reden wieder, dann bin ich müde und versuche liegend, mit angezogenen Füßen zu schlafen. Es klappt.