Donnerstag der 7.Oktober im Hafen vor Venedig
Heute ist mein letzter Tag in Italien und ich erwache schon um 06:30 Uhr. Ich habe sehr gut geschlafen, merke jedoch dass ich immer noch etwas an der Erkältung rummache. Ich trinke in der Lobby des Hotels einen Cappuccino. Es wird gerade eine Gruppe abgefertigt die nach Venedig will, darum kann ich schon einen Kaffee haben. Die Sonne ist noch hinter Wolken versteckt und ich entscheide mich für „langärmlig”. Immerhin gehe ich an die See und da weht immer eine Brise. Der Fußmarsch vom Hotel an den Bahnhof von Dolo macht mich wach, ich kenne die Strecke ja nun bestens. Ich löse ein Ticket nach Venedig und genieße die Zugfahrt mit den Liedern von Ben Jamin`. Venedig ist eine unvergleichliche Stadt – romantischer geht nicht mehr. Die Straßen sind mit Touristen überfüllt und dennoch strahlt der Ort Ruhe und Gelassenheit aus. Zumindest fühle ich so. Überhaupt scheint es, dass ich über Nacht eine Wandlung durchgemacht habe. Ich treffe schon den ganzen Tag auf freundliche Menschen, dies wird sich auch heute nicht mehr ändern. Leider habe ich nicht viel Zeit Venedig zu genießen, denn ich möchte gegen 10:00 Uhr im Hafen beim Einchecken sein und ich weiß noch nicht wo das ist. Die Dame an der Rezeption heute Morgen, hat mich nach Venedig geschickt. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass hier in „Disneyland“ große Fähren ablegen, so ist es dann auch.
Ich muss zurück nach Mestre und dann irgendwo in den Industriehafen. Ich gönne mir ein Taxi, hadere auch nicht mit diesem Umweg, dass ist mir der kurze Augenblick in Venedig wert gewesen. Es ist einfach nur schön hier. Wenig später sind wir da. Der Taxifahrer ist ein angenehmer Mensch und wir halten Smalltalk auf Italienisch und Spanisch. Der „Check in“ bereitet auch keine Probleme, obwohl Melanie das Ticket per Internet gebucht hat und ich nur die Referenznummer und meinen Ausweis habe, so einfach geht das. Nun heißt es warten. Zwei Stunden bis wir an Bord können. Ich lerne Nick kennen, einen Amerikaner, ebenfalls Pilger auf dem Weg nach Israel. Er ist sympathisch und wir reden. Ich frage Nick nach seinem „Nickname“ und er lächelt, findet den Witz ok. Er hat schon die halbe Welt bereist und fast ganz Afrika. Ich höre gespannt zu, denn er kennt manche Länder wo ich erst noch hin will. Sogar durch den Sudan ist er gereist und er zeigt mir den Eintrag in seinem Pass. Ein Eintrag von unzähligen in dem Dokument. Auf dem Schiff erfahren wir, dass wir auch die Kabine zusammen teilen.
Als dritter Passagier in der engen Kajüte, kommt Marco hinzu. Ein Spanier, Schauspieler, der in Kairo wohnt und dort am Theater auftritt. Auch er ist super sympathisch und zu dritt erkunden wir das Schiff. Die Visemar One ist brandneu, etwa drei Monate alt, circa 150 Meter lang und ich fühle mich wohl hier. Anscheinend muss das Schiff von der Reederei noch bezahlt werden, denn die Preise sind die eines Luxusliners, lediglich Wasser und Kaffee sind bezahlbar. Leider gibt es noch nichts zu Essen und mein Magen knurrt, hat seit dem Croissant in der Früh nichts mehr erhalten. Ich entscheide mich für einen Mittagsschlaf, habe in der Kabine eines der Oberbetten erwischt. Hoffentlich isst Nick heute keine Bohnen. Nach einer halben Stunde bin ich wieder wach, gehe an das Oberdeck zu Nick und Marco, wir vertreiben uns die Zeit mit Gesprächen und dem Sonnenuntergang. Das Schiff fährt erst Morgen gegen 07:00 Uhr, normalerweise sollte es heute um 16:00 Uhr ablegen. Marco hat viele praktische Tipps für Besuche in Ägypten, wenn ich nur die Hälfte besuchen will bin ich wochenlang beschäftigt. Er macht mir Spaß, hat eine angenehme Art und wir reden über Reisen, Politik, Religion und den Menschen. Nick, ebenfalls auf einer Pilgerreise ohne Flugerlaubnis, bringt seine Erfahrungen mit ein und ich ahne langsam, auf was für ein Abenteuer ich eigentlich aufgebrochen bin. Nick spricht mir Mut zu, es könne ja nichts passieren, da ich auf einer Pilgerreise bin. Doch weiß Gott das auch? – Er kann mir immerhin auch ins Herz sehen. Bin ich auf einer Pilgerreise oder verkaufe ich mir das selbst nur so? Gegen 19:30 Uhr gibt es endlich Abendessen, reichhaltig und für mangelnde Ansprüche auch ganz lecker. So schnell ist der demütige Pilger, plötzlich wieder Genussmensch mit Ansprüchen.
Nun ist es gegen 22:30 Uhr und wir drei sitzen in der Lounge und versuchen noch etwas Zeit zu vertreiben, wollen noch mehr müde sein, als wir es schon sind. Wie werden wir schlafen? Ob ich Ihnen erzählen soll, dass ich manchmal Schnarche und mit den Zähnen knirsche? Ich hoffe, sie schlafen vor mir ein und unsere frische Freundschaft nimmt heute Nacht keinen Schaden. – Gute Nacht – bis Morgen.