Moyale / Kenia der 11 November 2010
Ich erwache gegen 07:00 Uhr nach einem sehr guten und langen Schlaf. Nach einer Dusche und zwei Eiern, mit Brot und Kaffee zum Frühstück, verlasse ich mein Hotel in dieser staubigen, nicht unsympathischen Grenzstadt. Der Ort ist geteilt durch die Grenze und auf beiden Seiten lässt es sich leidlich leben. Mein Helfer von Gestern hat entweder verschlafen oder er rächt sich für das magere Trinkgeld. Mir ist es egal, denn das Ticket für die Fahrt habe ich in der Tasche und den Weg zur Bushaltestelle finde ich alleine. Dort erlebe ich eine negative Überraschung, denn ich halte vergebens nach meinen somalischen Freunden Ausschau. Außer diesem Bus, fahren lediglich Viehtransporter nach Nairobi, nehmen auf ihren Dächern Passagiere gegen Entgelt mit. Aber dies traue ich der somalischen Gruppe, wegen der Kinder und dem Gepäck, nicht zu. Ich vergewissere mich trotzdem bei den Lastwagen, ob unter den Passagieren meine Freunde sind, vergebens. Ich erinnere mich daran, dass sie definitiv von diesem Bus nach Nairobi gesprochen haben und es fährt auch kein anderer. Ich mache mir Sorgen. Habe ich mir doch in der Nacht schon Pläne überlegt, wie ich etwa die Kinder in die Deutsche Botschaft schleuse, einen Diplomatischen Zwischenfall provoziere oder wie ich Mela und ihre Familie dazu überrede, mit ihrem Segelboot, von Grado in Italien aus, die Flüchtlinge im Mittelmeer aufzuschnappen. Ich gebe es zu, meine Fantasie ging wunderbar mit mir durch.
Nun stehe ich an meinem Bus, wandere wieder durch die Straßen und sehe mich nach meiner somalischen Familie um. Sie sind nicht da. Ich fühle mich nicht gut, denn eigentlich wollte ich auch noch mit ihnen über meine Informationen von Flüchtlingen nach Italien reden. Von den Toten auf Schiffen und an den Stränden der Kanaren, von den Flüchtlingslagern in Italien und Spanien, wenn sie es denn soweit schaffen würden. Und ich hätte ihnen gerne von einem Bericht erzählt, den ich gelesen habe – über die Flüchtlingsroute durch Afrika, auf der schon die meisten scheitern. Letztendlich tröste ich mich damit, dass ich dadurch ihre Hoffnung untergraben hätte, die sie jetzt zweifellos noch haben werden. Ich wünsche ihnen Glück und schließe sie ab nun in meine Gebete ein.
Der Bus von Moyale nach Nairobi ist ein umgebauter Mitsubishi Truck mit Sitzkabinen und ich scherze, mit „meinem“ Busfahrer, dass die Passagierkabine für Japaner aus dem 14 Jahrhundert gebaut worden sein müssen. Wo drei Menschen sitzen sollen, haben meiner Meinung nach, maximal zwei Personen Platz. Auch die Reifen machen mir Sorgen, denn sie sind ohne Profil und haben verdächtige Risse in dem Gummi. Ich bin zuversichtlich, mit Gott und mit mir wieder im Reinen und steige in das Gefährt ein. Es zeigt sich, dass der Truck von zwei anderen Fahrern gelenkt wird und mein “Busfahrer” von Gestern, lediglich in Moyale für die Tickets zuständig ist. Er wird uns nicht begleiten. Gegen 09:00 Uhr beginnt die Fahrt in diesem Gefährt nach Nairobi.
Was soll ich sagen? Die Fahrt ist mörderisch und unverantwortlich. Der Truck hat seine Berechtigung, denn kein normaler Reisebus würde die Strecke nach Nairobi schaffen. Die ersten 50 Kilometer sind eine Rallye auf rotem Sand, über unzählige Schwemmlöcher, dies mit Tempo achtzig, Überholmanöver und Gegenverkehr. Wir haben Glück, denn kein Tier und Mensch rennen auf die „Fahrbahn“, kein Material verschleißt bei den vielen Stößen und der Fahrer lenkt in Kurven rechtzeitig gegen, wir schlittern oft. Ich bin froh, um meinen Platz in der Mitte, denn am Fenster würde ich sterben. Ich habe kaum Platz, die Sitze sind unbequem und die vielen Stöße gegen das Fahrzeug lassen meinen Hintern und die Beine früh leiden. Die nächsten 200 Kilometer fahren wir durch eine Steinwüste, hier ist die Straße noch schlechter, dafür kann der Truck nun nicht mehr schnell fahren. Bis zum Sonnenuntergang schaffen wir gerade einmal 250 Kilometer von den gesamten 950 Kilometer nach Nairobi.
Trotz aller Leiden genieße ich die Landschaft aus den Fenstern, sehe erstmals Strauße und Antilopen und Menschen, die in dieser Wüste leben. Hier ist Wasser ein Luxus und wir werfen unsere gebrauchten Flaschen den Kindern zu, die an dieser Straße auf die Herden aufpassen. Gegen Sonnenuntergang halten wir in einer Kleinstadt, wechseln einen Reifen und kaufen Getränke und Speisen. Ich bleibe bei Cola und Wasser, verzichte auf Nahrung. Im Dunkeln geht es weiter nach Nairobi. Nun wieder in unverantwortlichem Tempo auf sandigen Wegen. Es soll insgesamt 400 Kilometer dauern, bis wir die erste Teerstraße erreichen. Immer wieder nehmen wir Menschen mit für ein paar Kilometer und ich bin an meinem Limit. Arme, Rücken und Ärsche, kein Körperteil der mir nicht ins Gesicht gedrückt wird, aber ich habe auch Verständnis. Denn anders hätten diese Landbewohner kaum eine Chance hier zu reisen. Gegen 23:00 Uhr erreichen wir ein Städtchen und hier steigen mehrere Passagiere aus. Ich freue mich, hoffe nun wenigstens auf etwas Beinfreiheit. Weit gefehlt. Nun wird der Truck richtig voll und meine Laune ist an einem absoluten Tiefpunkt. Es gelingt mir nicht einzuschlafen, denn immer wieder landet mir ein Mensch auf dem Arm oder gar auf dem Schoß und die Sitze sind an Unbequemlichkeit nicht zu überbieten. Ich versuche als Pilger zu fühlen, der mit diesem Leiden klarkommen muss, doch ich würde am liebsten Prügeln oder den Bus verlassen. Ich beherrsche mich, aber ein angenehmer Begleiter bin ich auf dieser Strecke nicht. Gegen 04:00 Uhr gelingt mir der erste Schlaf und ich wache kurz vor Nairobi an einer Tankstelle auf, wo wir tanken und eine Panne haben, der Bus springt nicht mehr an. Mein persönlicher Held auf dieser Reise, ist der „Bordmechaniker“ – ein Junge in verrissener Kleidung, der Reifen wechselt, die Panne behebt, an jedem zweiten Stopp unter den Truck klettert und irgendwas einschmiert und der die ganze Zeit berauschende Blätter kaut. Auch holt er an den verschiedenen Haltestellen, das Gepäck herunter, wobei ich ihm oft helfe, denn der zweite Junge als Reisebegleitung, scheint nur für die Tickets zuständig zu sein und zeigt sonst keinerlei Manieren oder Neigung, darüber hinaus irgendetwas zu leisten.
Ja – beide Typen Mensch sieht man überall auf dieser Welt.
Gegen 07:00 Uhr ist für mich dieser Horrortrip nach Nairobi endlich zu Ende. 21 Stunden auf Kenias Straßen, die ich keinem Reisenden empfehlen kann. Leider ist es die einzige Alternative, um aus Moyale wegzukommen, will man nicht auf einem Tiertransporter mitfahren. Diesen “Reisewagen” begegnen wir sehr oft. Die Menschen sitzen in der prallen Sonne auf den Gestängen und dem Dach der Lastwagen und die Tiere stehen im Laderaum, ohne Wasser und irgendwann mit gebrochenen Beinen. Bei einem Transport beobachte ich, wie Menschen eine tote Kuh versuchen umzulegen. Leider scheint ganz Afrika für “Nutzvieh” (welch schlimmes Wort für Lebewesen an sich) die Hölle zu sein. Man braucht keine Kuh in einem dieser Transporte zu sein, es reicht vollkommen seinen Dienst als Esel in Kairo leisten zu müssen, um sich ein schnelles Ende zu wünschen. Aber das ist ein anderes Thema.
Zurück zu Kenia und meinen Eindrücken. Leider bekomme ich bei Tag nur die Steppe und die Wüste mit. Sehe Dörfer und Kleinstädte an denen wir halten und mir fällt auf, dass im Gegensatz zu Äthiopien, nichts Neues gebaut wird. Keine staatlichen Projekte und auch keine Hausbewohner, die ihr Dach ausbauen, den Hof erweitern oder sonst irgendetwas an ihrem Gut verbessern. Mein erster Eindruck von diesem Land, ist kein Guter. Ich suche in meinem Wissen nach Informationen über dieses Land, habe aber nicht viel aufzubieten. War nicht erst Krieg oder Bürgerkrieg für kurze Zeit? Ist das Land nicht führend im Europäischen Tourismus in Afrika? Was macht der Staat mit all den Geldern? Jedes noch so billige Strategiespiel, wie „Die Siedler“ oder „Anno…“ zeigt auf, dass Infrastruktur, Handel und Technologie für eine mögliche Blüte unabdingbar sind. Warum brauche ich 400 Kilometer von Äthiopiens einziger Grenze, bis ich in Kenia auf eine Teerstraße treffe? Ich weiß sehr wenig über Kenia, doch Fragen hätte ich einige. Positiv vermelden kann ich, dass die Menschen oft ein gutes Englisch sprechen, mir die Musik im Radio sehr gut gefällt und die Uniformen der Polizisten und Soldaten besonders sauber und gebügelt sind. Ich kann die Bestechung eines Polizisten beobachten, der unseren Bus kontrolliert und ich lausche einer Bibelstunde aus dem Radio, auf die ich abschließend auch noch eingehen möchte.
In unserem Bus sitzen überwiegend Muslime, direkt neben mir eine sympathische „Schwarze Vettel“ mit ihrer Vollbekleidung und ihrem Säugling. Nur langsam kann ich mich mit ihr anfreunden, denn vermummte Menschen sind mir ein Graus. Natürlich ist sie mit mir als Sitznachbar auch nicht einverstanden, denn sie hätte lieber eine Frau an meiner Stelle gehabt. Letztendlich – Reisen verbindet und wir haben uns „arrangiert“. Egal, auch das ein anderes Thema. Jedenfalls, wundere ich mich über diese Mehrheit an muslimischen Fahrgästen und bin plötzlich hellwach, als aus dem Radio eine Bibelstunde kommt. Eine Frauenstimme moderiert und erklärt Bibeltexte, welche von zwei Kindern, Ruben und Beth, vorgelesen werden. Das Thema ist: Man solle die staatliche Autorität respektieren, den Regierenden Respekt und Achtung entgegen bringen und sich ihrem Willen beugen. Aus verschiedenen Stellen des Alten Testaments wird dies vorgelesen und anschließend von der Frauenstimme erklärt. Nun bin ich als Deutscher, der aus seinen Geschichtsstunden über das Dritten Reiches weiß, dass dies barer Unsinn sein kann, für diese Propaganda der falsche Zuhörer. Sehr viele Beispiele der heutigen Zeit belegen dies ebenfalls. Ich kann den Texten gut folgen und bin über diese leicht durchschaubare Gehirnwäsche erzürnt. Hätte ich doch Bibeltexte begrüßt, nur um zu sehen wie die Muslime damit umgehen, eventuell mit ihnen darüber gesprochen, denn einige Bekanntschaften habe ich auf dieser Reise doch gemacht. Wären Bibeltexte über Nächstenliebe und über Jesus nicht schöner gewesen? Stattdessen hören wir Aufforderungen zu blindem Gehorsam, denn die Macht zu regieren sei direkt von Gott gegeben. Eine halbe Stunde, mit verschiedenen Versionen dieser Aussage müssen wir im Bus erleiden. Sorry, ich weiß leider besser. Habe sogar bei meiner Bundeswehrzeit gelernt, dass Zivilcourage und Ziviler Ungehorsam gegen unmenschliche Befehle eine Pflicht ist. Mir tut es auf dieser Reise nur darum leid, dass meine muslimischen Brüder einen Beweis dafür bekommen haben, dass meine Religion ebenfalls zur dummen Propaganda benutzt werden kann. Ich bin froh als wieder Musik läuft und sauer über die vergebene Chance. Auf der anderen Seite, überlege ich natürlich – Welche Regierung hat so etwas nötig? Und zu welchem Ziel?
Abschluss der 21 Stunden Höllenfahrt. Ich werde am Busbahnhof von einem Menschen abgeholt, der seinen Anruf aus Moyale von meinem vermeintlichen Busfahrer erhalten hat. Er fährt mich zu einem Hotel, erhält sein Trinkgeld und ich checke hier in Nairobi im Rivers Corner Hotel ein. Es kostet etwa 10 Euro die Nacht, hat warme Dusche und ein bequemes Bett. Ich gehe noch einmal auf die Straße, will Melanie anrufen, versuche erfolglos unsere Nummer zu erreichen und schreibe in einem Internetcafé stattdessen eine kurze Mail. Dann gebe ich Wäsche in einer Reinigung ab, hebe Geld am Automaten ab und kehre zurück in mein Hotel. Nach einem kurzem Frühstück habe ich ihn mir endlich verdient – einen ausgiebigen Schlaf. Es ist nun der 12 November 2010, gegen 10:00 Uhr lokaler Zeit.